Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
Beamtin.
Die Frau murmelte undeutlich ihren Namen. Sie wollte nicht, dass wir ihn hörten, begriff ich.
Nachdenklich betrachtete ich die farblosen Haarsträhnen, die sich aus ihrem unordentlich gebundenen Zopf gelöst hatten und ihr ins zerfurchte Gesicht hingen. Den zwischen den Schultern eingeklemmten Kopf, das gebeugte Rückgrat unter der Bluse.
Sie wollte nicht gesehen werden. Sie schämte sich, hier zu sein. Wen sie wohl besuchte? Ihren Mann? Ihr Kind? Oder ihre Eltern?
Sogar das war möglich …
Die letzte Besucherin, die noch darauf wartete, an den Schalter gerufen zu werden, wollte bestimmt zu ihrem Mann, fantasierte ich weiter. Sie war groß, schlank, gepflegt, geschminkt und blondiert, attraktiv im geschmackvollen Hosenanzug in Pastell. Eine, der man auch auf einer Geburtstagsfeier des Oberstaatsanwaltes begegnen könnte.
Ich spürte, wie sich der bereits kurz aufgeblitzte Gedanke entfaltete. Wie ein gerade aus dem Kokon geschlüpfter Schmetterling, der seine schillernd schönen Flügel ausbreitete. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick sich an der chirurgisch verkleinerten Nase der fremden Frau festsog.
So würde meine Mutter auf einen Besuch bei meinem Vater warten, wenn er endlich da gelandet war, wo er hingehörte.
Der Besucherraum war ein schmuckloses Zimmer mit weißen Wänden, einem Tisch und ein paar Stühlen aus Plastik.
Fiete wartete bereits auf uns, als wir hereinkamen. Naiverweise hatte ich erwartet, ihm im schwarz-weiß gestreiften Häftlingsoutfit zu begegnen. Doch er trug wie immer ein Muskelshirt.
»Nachbarn«, begrüßte er uns erstaunt. Seine Stimme hallte durch den kahlen Raum. »Ihr solltet euch von diesem Gebäude fernhalten, man kommt hier schlecht wieder raus.«
Danner hielt dem Inhaftierten die Hand hin und der schlug klatschend ein. Für eine reine Begrüßung fiel das Händeschütteln zu kräftig aus.
»Die mögen dich so sehr, dass sie dich hierbehalten wollen, hm?« Ich schenkte Fiete ein aufmunterndes Lächeln.
»Sieht aus, als hätten sie mich vermisst«, nickte Fiete grinsend. Die Träne auf seiner Wange verschwand tatsächlich für einen kurzen Moment zwischen den Lachfältchen seiner Augenwinkel.
Ich setzte mich Fiete gegenüber.
»Was ist mit deinem Garten?«, plauderte ich gleich weiter.
Danner lehnte sich zurück. Ich meinte, seine grauen Augen glitzern zu sehen.
»Kümmert sich Alwin drum?«, erkundigte ich mich. »Der wollte seinen Garten doch sowieso erweitern.«
»Alwin?« Fiete spuckte den Namen angeekelt wie ein Stück ranzigen Käse aus. »Der soll die dreckigen Finger von meinem Land lassen! Der meint wohl, er kann mich einbuchten lassen und sich bedienen. Ulli kümmert sich, verklickert ihm das!«
Ich klimperte erstaunt mit den Augen: »Du glaubst, Alwin hat dir die Bullen auf den Hals gehetzt? Wieso sollte er das tun?«
Fietes Augen wurden schmal. »Rache«, zischte er. »Das würde ihm ähnlich sehen.«
Der Häftling lehnte sich zu mir herüber und hielt mir seinen kräftigen Zeigefinger unter die Nase: »Ich hab ihm was weggenommen, jetzt versucht er, an meinen Garten zu kommen.«
Ich schluckte. In Fietes verdrehter Welt war das womöglich vollkommen logisch.
»Schwachsinn.« Danner tippte sich an die Stirn und lenkte Fietes Aufmerksamkeit damit von mir ab. »Der schickt dich doch nicht in den Knast. Da müsstest du ja schon seine Alte gebügelt haben.«
Fiete lehnte sich zurück und zuckte die Schultern.
Danner pfiff durch die Zähne: »Du hast Kopelski tatsächlich die Frau ausgespannt? Die Bine?«
»Er hat nicht gut genug auf sie aufgepasst.« Fietes Grinsen war das eines kleinen Jungen, der dem Rivalen eine Tüte Bonbons geklaut hatte. Ich musste an Matthias Hesskamps Schilderungen denken, an das Kalle-Blomquist-Gedächtnisspiel. Damals hatten Fiete und Kopelski auf den Straßen gegeneinander gekämpft, sich ihre Schätze abgejagt und hinterher wahrscheinlich damit angegeben.
Vielleicht hatte Alwin Kopelski irgendwann damit aufgehört. Fiete nicht. Fiete kannte nur Rivalen, nur Stärkere oder Schwächere. Er verteidigte noch heute sein Revier und es machte ihm noch heute Spaß, Kopelski etwas wegzunehmen. In diesem Fall die Ehefrau.
»Alwin hat die Bine seit Jahren behandelt wie den letzten Dreck«, erklärte Fiete, als er mein skeptisches Gesicht bemerkte. »Der hat geglaubt, er kann sich alles rausnehmen. Alles. Er hat gemeint, er könnte sie vor die Tür setzen, wann er wollte. Er wusste genau, dass Bine niemanden
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