Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
Welt, in der sie lebte. Die Frau war alkoholabhängig. Schwerstkrank. Keine Luxus-Trinkerin wie meine Mutter, die mit einer Pulle Sekt zum Frühstück verdrängte, dass sie sich eigentlich scheiden lassen müsste.
Hier gab es Wodka und Himbeergeist.
»Sie lebt«, hörte ich Danner aus der Küche.
Ich hätte aufgeatmet, wenn der Gestank es zugelassen hätte. Zögernd trat ich in die Küchentür. Obwohl ich ahnte, was ich zu sehen bekam, übertraf der Anblick meine Erwartungen. Zwischen den schimmelnden gelben Säcken und der Schmutzwäsche hatte die Sprack quer durch die Küche gekotzt. Und nicht das erste Mal. Seit Wochen hatte sie es sich erspart, die Sauerei wegzuputzen.
Jetzt lag sie im Erbrochenen. Schnarchend. Im offenen Morgenmantel. Eine schlappe, alte Brust und ein Slip aus dunkelblauer Spitze ragten unter dem Frotteestoff hervor.
Danner drehte sie in die stabile Seitenlage.
Ich trat über ihre nackten Beine hinweg an den Küchentisch, auf dem sich neben vier Dosen mit Speckbohnen die Post stapelte. Obenauf mehrere Briefe. Der Absender weckte augenblicklich meine Neugier.
Das Amtsgericht.
Schnell überdachte ich die Situation.
In spätestens fünf Minuten würde der Notarzt eintreffen und die Sprack mitnehmen. Die, wenn sie irgendwann wieder ansprechbar war, uns im besten Fall beschimpfen würde. Wahrscheinlich würde sich irgendeine Betreuerin um den Briefstapel kümmern.
Genug gedacht. Ich riss den obersten Brief vom Amtsgericht auf.
Gerichtstermin. Strafsache wegen versuchter Körperverletzung. Schon nächste Woche sollte die Sprack sich wegen der Messerattacke auf die Zeitungszustellerin Sabine Kopelski verantworten.
Volltreffer.
»Bine Kopelski hat die Sprack angezeigt«, informierte ich Danner. »Der Gerichtstermin ist nächste Woche.«
Blaulicht zuckte über den Müll, als der Rettungswagen vor dem Haus zum Stehen kam.
Danner musterte die schnarchende Besoffene. »Vielleicht ein Grund für den Vollrausch.«
»Vielleicht auch ein Grund für Bine Kopelskis Verschwinden?«
In Gedanken setzte ich Anneliese Sprack auf die Liste meiner Lieblingsverdächtigen für das Verschwindenlassen von Bine. Unter den einzigen anderen, den ich mir bisher im Geiste notiert hatte: Alwin Kopelski.
Klick.
Mist. Eine Zimmerpflanze ragt ins Bild.
Trotzdem ist das Wesentliche zu erkennen: Die Frau liegt am Boden. Geknebelt und blutend. Die Augen aufgerissen. Die Beine gespreizt. Sie hat Angst. Und Schmerzen.
Nur ein kranker Mann kann so etwas erregend finden.
23.
Ich war noch nie im Gefängnis gewesen. Als Häftling nicht, klar, aber auch nicht zu Besuch. Und das, obwohl mein Vater Oberstaatsanwalt war.
Eine Tatsache, die mir heute zum ersten Mal seltsam vorkam. Doch für den Hautausschlag der Meerschweinchen im Zoo hatte ich mehr Interesse aufgebracht als für die Arbeit meines Vaters.
Staschek hatte uns tatsächlich ein spontanes Date mit Fiete organisiert. Bisher war ich nicht einmal darüber informiert gewesen, dass sich die Justizvollzugsanstalt Bochum ganz in der Nähe befand: im Ortsteil Grumme, neben der Bereitschaftspolizei und gegenüber vom Stadion.
Praktisch, so brauchten die Polizisten nur über die Straße zu gehen, wenn die VfL-Fans mal wieder eine Niederlage nicht verkrafteten.
Der Besuchereingang befand sich an der Rückseite des Geländes. Wir passierten ein Pförtnerhäuschen und näherten uns über einen videoüberwachten Platz dem Eingang. Zu sehen gab es nicht mehr als eine Tür in einem flachen Backsteinbau, über der große, schwarze Blockbuchstaben auf die Nutzungsart des Gebäudes hinwiesen.
Einfach eintreten konnte man allerdings nicht. Im Vorraum standen wir zusammen mit weiteren Besuchern vor zwei von Sicherheitsglas geschützten Justizvollzugsbeamten. Ihre Stimmen schnarrten aus Lautsprechern. Die Besucher wurden angewiesen, Ausweise, Handys, Portemonnaies, Uhren, Rauschgiftvorräte, alle Arten von Waffen und ihre Toupets abzulegen.
Im Gegenzug erhielt man einen Besucherausweis und eine Nummer, damit man auch das richtige Toupet zurückbekam.
Im Computer wurde kontrolliert, ob man eine Besuchserlaubnis hatte. Erst wenn die Identität des Besuchers geklärt war und feststand, dass er keine Feile im Schuh einschmuggelte, öffnete ein grimmig dreinblickender Beamter mit klirrendem Schlüssel die Sicherheitsschleuse.
Drei ausländisch aussehende junge Männer verschwanden gerade im Gebäude und eine ältere Frau trat vor die streng durch die Glasscheibe blickende
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