Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
greifen zu können. Denn egal, in welche Richtung wir dachten, wir landeten bei Alwin Kopelski.
Also begaben wir uns erneut zu den friedlichen Nachbarn. Der sonnige Spätnachmittag sorgte für Betrieb. Kröte und Sergej warfen tote Küken in ihren Teich.
Und auch Grizzly Adams stand nicht allein vor seiner Blockhütte, als wir uns auf dem Kiesweg näherten. Oberschreber Peter Bengel, Gartengegner Matthias Hesskamp und Bodo hielten ebenfalls ein Bier in der Hand. Schweigend blickten die Männer über Kopelskis kanadischen Bergsee.
Ich blieb am Zaun stehen. Es dauerte einen Augenblick, bis mir bewusst wurde, was mich irritierte: Hesskamp passte nicht ins Bild.
»Ein Polizist und ein Kioskräuber beim gemeinsamen Bier«, flüsterte ich Danner zu. »Das nenne ich eine wirklich friedliche Nachbarschaft.«
Bodo bemerkte uns. Er trottete auf uns zu.
»Kollege«, begrüßte Danner ihn. »Seit wann teilst du dein Bier mit den Bullen?« Mit einem Kopfnicken deutete er in den Nachbargarten.
Bodo winkte ab: »Matze passt schon. Ist ein alter Kumpel.«
Ach ja, erinnerte ich mich. Da drüben tranken gar nicht der Polizist und der Räuber ein gemeinsames Feierabendbier, sondern die Kinder aus der Zechensiedlung.
Bodo ließ sich in einen unserer Gartenstühle plumpsen. »Matze hat erzählt, dass hier um die Ecke einer erschossen worden ist. Den kannten wir alle. Deswegen.«
»Ich hab davon gehört«, sagte Danner zu Bodo. »Es soll dieser Typ mit dem Pudel gewesen sein. Das war ein Kumpel von dir?«
»Kumpel wär zu viel gesagt«, wich Bodo aus.
Ich hatte mich aus der Kiste in unserer Gartenlaube bedient und drückte Bodo eine neue Bierpulle in die Hand.
»Das war so ein Oberschlauer«, brummte der Schreber. »Ist immer gleich am Flennen gewesen, die Träne. Schätze, wir haben den manchmal ganz schön fertiggemacht. Jetzt wo er hin ist, fragt man sich schon, ob das in Ordnung war«, sinnierte Bodo.
Ich registrierte, wie sich Danners Blick an Matthias Hesskamp festsog, während Bodo gluckernd seine Flasche leerte.
»Scheiße, glaubst du, ich bin stolz drauf?«
Molles Fußballstammtisch verstummte und sah sich nach Matthias Hesskamp um. Der Polizist bemerkte, dass er aufgesprungen war und setzte sich hastig wieder auf seinen Stuhl. Er lallte leicht. In Kopelskis Garten war es nicht bei einem Bier geblieben. Hesskamp vor den Gärten abzufangen und etwas unsanft in unser Auto zu bugsieren, war kein Problem gewesen.
»Wir waren Kinder verdammt! Wir haben uns nichts dabei gedacht«, zischte der Polizist jetzt deutlich leiser. »Und das Muttersöhnchen hat es einem auch einfach gemacht, der hat sich ja nicht mal gewehrt.«
Ich starrte Hesskamp an.
Er ist ein so anständiger, feinfühliger und bescheidener Mann , hallten die Worte der Lamafrau durch mein Gedächtnis.
Natürlich hatte der stille Bücherwurm Archibald keine brennenden Äste mit bloßen Händen ausgedrückt. Er hatte ja auch keinen Vater gehabt, der ihm hätte erklären können, warum etwas derart Bescheuertes manchmal sinnvoll war.
Mein eigenes Gefühl der Unzulänglichkeit während der Hühnertreffen mit meinen Freundinnen kam mir in den Sinn.
Ging es mir selbst womöglich ähnlich? Hatte meine Mutter nicht mein Leben lang geschwiegen, während ich den Krieg gegen meinen Vater geführt hatte? Es ließ sich nicht leugnen, dass ich mich mühelos durch eine überfüllte U-Bahn drängeln konnte, während ich mir bei Gesprächen unter Frauen so fehl am Platz vorkam wie ein Blinder bei einem Diavortrag.
»Und ich wollte mich wegen Archibald, der Heulsuse, nicht mit Alwin, Fiete und Ulli anlegen«, gestand Matthias Hesskamp schwerfällig. »Dann wär ich der Nächste gewesen, den sie sich vorgeknöpft hätten.«
Ich stützte das Gesicht in die Hände.
So verfeindet, wie es den Anschein hatte, waren die beiden Banden der Kalle-Blomquist-Freunde also gar nicht gewesen. Kopelski, Hesskamp und Bengel hatten zwar gegen Fiete, Ulli und Bodo Rosenkrieg gespielt, doch auf den schlauen Bücherwurm Archibald, dessen Familie sowieso keiner leiden konnte, waren sie in schöner Gemeinschaft losgegangen.
»Heute fühle ich mich jedes Mal beschissen, wenn ich in den Nachrichten von Mobbingopfern höre«, gestand Hesskamp weinerlich. »Ich habe fünfzig Jahre neben Archibald gewohnt und mich nicht entschuldigt. Seit er heute Morgen tot gefunden wurde, kriege ich den Gedanken nicht mehr aus dem Kopf.«
Tja, zu spät.
»Seid ihr bescheuert?«, polterte Staschek auf
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