Das Fünfte Geheimnis
Diese Kraft drückt mich nieder.«
»Was du dir wünschst, ist hier nicht wichtig. Die Kraft hat dich zu ihrem Instrument erkoren. Willst du dich weigern? Deine eigenen Visionen zurückweisen?«
Madrone versuchte, ihren stoßweisen Atem zu beruhigen. Ihr Herz raste. »Du kennst die Antwort darauf«, sagte sie. »In Ordnung. Bring mich besser schnell wieder in Trance, damit ich es noch einmal versuche, bevor ich die Nerven verliere.«
Madrone begann mit den Vorbereitungen. Sie sichtete Black Dragons sechzig Jahre alte Camping-Ausrüstung, pickte sich heraus, was ihr brauchbar und nützlich erschien. Sie erntete Kräuter im Garten und vervollständigte ihre kleine, aber sinnvolle medizinische Ausrüstung. Sie destillierte einen Sechsmonatevorrat von Veilchen-blättern für Schwester Maries Krebs. Nahezu täglich besuchte sie Lily auf der Insel, um dort das hellsichtige Träumen zu lernen. Sie ging mit Maya zu den Ratsversammlungen. Sie lauschte Bird aufmerksam, wenn er von den Southlands erzählte und von der Möglichkeit des Krieges sprach. In den darauf folgenden Debatten erzählte sie jedoch nichts von ihrem Plan, in den Süden zu gehen. Lily hatte ihr dazu geraten.
Jeden Tag machte Madrone lange Touren, um sich an die körperlichen Anstrengungen zu gewöhnen. Sie studierte die alten Landkarten, bis sie diese fast auswendig kannte. Aber jeder Versuch, mit Bird einen Plan zu besprechen, endete mit einem Kampf.
Bird steckte voller Vorahnungen. Er ahnte im voraus die lastende Stille im Haus, wenn Madrone fort sein würde. Und die Vorstellung, was Madrone alles zustoßen könnte, bedrückte ihn so sehr, daß er sich weigerte, darüber nachzudenken. Er starrte vor sich hin, voller Angst vor schrecklichen Visionen, die ihn heimsuchen könnten.
Er wußte, daß er mit Madrone gehen würde. Sie hatte zwar wieder und wieder nein dazu gesagt. Der Rat konnte einfach keinen zweiten Heiler entbehren. Sage, Nita und Holybear waren zu wichtig für die Arbeit in der toxikologischen Forschung, sie konnten unmöglich gehen. Und sonst war da keiner, zu dem Madrone genügend Vertrauen hatte, um mit ihm zusammen eine so gefährliche Aufgabe zu übernehmen. Eigensinnig sagte sich Bird, er sei schließlich der einzige, der Madrone begleiten könnte.
Eine Alternative war undenkbar: Es war sicherlich fast leichter, die körperlichen Strapazen einer solchen Reise zu ertragen, als das Gefühl der Hilflosigkeit, das dahinter stand. Er übte sich darin, die Schmerzen überanstrengter, verkrampfter Muskeln auszuhalten, ohne sich zu beklagen. Dennoch tat ihm alles weh, wenn er sich treppauf mühte oder treppab humpelte. Beharrlich grub er im Garten und setzte den Komposthaufen mit verbissener Vehemenz um. Holybear mußte ihn anschreien, weil er im Begriff stand, sich total zu überanstrengen. Nun verlegte er sich darauf, Maya die Sachen zu bringen, die sie im oberen oder unteren Stockwerk vergessen hatte – bis Maya fast einen Nervenzusammenbruch bekam vor Angst, irgendetwas liegen zu lassen.
Madrone verlor als erste die Geduld mit ihm. Sie saßen alle nach dem Essen im Gemeinschaftsraum zusammen. Sie hatte gerade eine alte Landkarte von Big Sur studiert und fragte ihn nach dem Zustand und Verlauf der Wege.
»Mach dir keine Gedanken darüber«, sagte er. »Ich zeige dir das alles, wenn wir erst dort sind.«
»Bird«, sagte sie scharf, »Ich habe es dir bereits hundertmal gesagt und werde es nun buchstabieren, damit du es endlich verstehst: Du wirst nicht gehen! Du gehst nicht! No vas a ir. You stay here. Aqui. Zuhause. Comprendes? Okay?”
»Du kannst mich nicht beleidigen, Madrone. Es ist meine Entscheidung, und ich werde sie ausführen. Ich gehe. Ich muß gehen.«
»He, du bist nicht allein auf der Welt«, knurrte Holybear.
»Genau«, stimmte Sage zu. »Dies ist etwas, was uns alle angeht. Das ist keine Entscheidung, die du allein treffen kannst.«
»Ich habe meine Entscheidung getroffen«, beharrte Bird.
»Deine Entscheidung ist mir egal«, sagte Madrone.
»Du kannst mich nicht davon abhalten, etwas zu tun, das ich tun will.«
»Ich kann mich davon abhalten, etwas mit dir zusammen zu machen. Bird, was ist nur los mit dir? Bist du verrückt geworden? Hast du nicht gemerkt, daß du kaum etwas im Garten arbeiten kannst? Nicht allein den Küstenweg hinunter gehen kannst? Nicht, daß ich dich nicht mitnehmen würde. Diosa! Ich würde etwas darum geben, dich mitzunehmen können – wenn du nur könntest. Aber du kannst
Weitere Kostenlose Bücher