Das Fünfte Geheimnis
hin, und laß mich dich umarmen.«
Maya richtete sich auf. Sie strich sich selbst über die Schultern, als umarmte sie den Tod.
»Wir hatten unsere Herausforderungen und unsere Enttäuschungen«, sagte Johanna, »laß die Jugend ihre eigenen Erfahrungen machen.«
»Aber heute ist alles viel schwieriger als damals. Es ist so, Johanna, behaupte nicht das Gegenteil. Und das ist nicht richtig, dafür haben wir nicht so gekämpft.«
»Wir haben dafür gekämpft, die Dinge zu ändern. Damals waren wir jung. Wir sollten es als Sieg feiern, daß die Jugend heute lebt und etwas hat, wofür sie kämpfen und leiden kann.«
✳✳✳
Bird saß im Garten. Der Mond schien sanft, und seine Gereiztheit hatte sich gelegt. Langsam neigte sich der Mond über die Dächer der Nachbarhäuser, die Luft war kühl. Warum konnte er sich nicht auch so leicht bewegen, wie der Mond, vor Madrone und ihre Campingausrüstung hintreten, vor Madrone, die eine verletzende Freundlichkeit in den Augen haben würde.
Kälte kroch über seine Schultern, wie eine eiskalte Hand. Wenn er die Augen schloß, tauchte Rios Gesicht vor ihm im silbernen Mondlicht auf, er sah seine Haare, seinen Bart deutlich vor sich.
»Ich bin enttäuscht«, schien Rio zu sagen, »ich habe dir mehr Schneid zugetraut.«
»Laß mich in Ruhe«, sagte Bird, »oder versuch's mit einer anderen Taktik. Glaub' mir, Rio, niemand kann behaupten, ich hätte keinen Schneid. Ich habe es nicht nötig, das noch einmal zu beweisen.«
»Es geht nicht um Macho-Rituale, es geht um eine bestimmte Sorte von Mut. Und ich will gar nicht kritisieren. Wer bin ich, um dich zu verurteilen? Ich möchte nur, daß du den Mut hast, dir deine Verwundung einzugestehen.«
»Das tue ich jetzt ja! Gerade jetzt! Ich sitze hier, fühle meine verwundeten Füße, fühle meinen verletzten Rücken, meine Finger sind steif, und nichts an meinem Körper arbeitet richtig - okay? Ich kann nicht mit Madrone nach Süden ziehen, ich weiß das nun. Ich kann meine Musik nicht mehr spielen, ich bin ein nutzloses Nichts, das kannst du ruhig sagen.«
»Ich spreche gar nicht von deinen Verwundungen«, antwortete Rio. »Hör zu, Bird. Es ist einiges passiert als du Dinge machtest, die andere Leute eben nicht machen. Du bist schlimmen Dingen begegnet, von denen andere gar nichts wissen. Aber wir beide wissen darum, du und ich. Wie es ist, Schmerzen für andere auszuhalten und nicht darüber zu sprechen.«
»Das ist es, warum es soviel gibt, worüber ich nicht reden mag«, antwortete Bird.
Rio schüttelte den Kopf. »So geht das nicht, Bird. Du verzehrst dich von innen. Du verletzt dich immer mehr. Du weißt, was du früher getan hast. Dein Instinkt ist vorhanden, aber du öffnest dich nicht.«
»Ich weiß nicht, wie ich es machen soll.«
»Doch, du weißt es. Als erstes sprich dich aus. Dann wirst du auch imstande sein, dein Herz zu öffnen.«
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Bird traf Madrone am nächsten Tag, sie trug gerade einen Arm voller Kräuter aus dem Garten ins Haus.
»Kann ich mit dir reden?«
»Sicher, laß mich nur dies hinlegen.« Sie packte die Kräuter in den Ausguß in der Küche. Dann folgte sie ihm in sein Zimmer, sie setzten sich zusammen aufs Bett.
»Er seufzte tief und fing an. »Ich war ein Esel, Madrone. Verzeih! Du bist diejenige, die im Moment alle Hilfe braucht, ich werde versuchen, dich mit meiner ganzen Kraft zu unterstützen.«
Sie nahm seine Hände und hielt sie fest. Sie fühlte tiefe Zärtlichkeit für ihn. Was hätte sie nicht dafür gegeben, um die Fähigkeit zu haben, seine Wunden zu heilen. Vielleicht war Lily dazu in der Lage, aber vielleicht war auch sie nicht stark genug.
»Bird, es wird dir wieder besser gehen, du weißt es auch. Ich meine, du kannst dazu beitragen. Aber du nimmst keine Rücksicht auf dich selbst. Gib deinem Körper eine Chance. Es gibt Übungen für deinen Rücken, ich zeige sie dir, und Lou kann es mit Akupunktur versuchen. Vielleicht solltest du auch wieder mit Sam sprechen. Laß ihn nur machen, er kann deiner Hüfte sicher helfen.«
Sie fühlte, wie er sich in sich zurückzog, aber dann tat er einen tiefen Atemzug und lächelte sie an.
»Okay, ich werde darüber nachdenken. Grauenvolle Vorstellung, daß ich unbeweglich dasitzen müßte, wenn die Steward-Armee einmarschiert.«
»Vergiß diese Vorstellung. Du wirst überrascht sein, wie schnell Sam dir das Gehen wieder beibringt – ohne Krücken.« Madrone hörte selbst das Drängen in ihrer Stimme, es klang ein Zittern
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