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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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Opfer zu bringen.
    »Du hattest doch eine wunderschöne Stimme«, fuhr Sachiko fort. »Meine Stimme ist verloren«, sagte Bird, »vergiß' es einfach. In mir gibt es keine Musik mehr.« Er dachte zwar insgeheim, vielleicht wäre noch etwas Musik in ihm, wenn Madrone noch hier wäre. Aber sie war nun fort, und er schien es nicht für sich allein versuchen zu kön
    nen. Abrupt drehte er sich weg und ging, ohne sich zu verabschieden.
    »Du bist sehr still«, sagte Maya zu ihm, »bist du in Ordnung?«
    »Ich habe dir gesagt, daß du aufhören sollst, dich um mich zu sorgen. Laß' mich meine eigenen Sorgen in Ruhe betrachten, okay?«
    »Also bist du jetzt derjenige, der sich sorgt?«
    »Darauf kannst du Gift nehmen!«
    »Madrone?« fragte Holybear sanft.
    »Natürlich mache ich mir Sorgen um Madrone. Ich bin krank vor Sorgen. Und ich mache mir Sorgen um unsere City. Der Rat hört unsere Warnung, aber niemand scheint zu wissen, was zu tun ist. Unser Waffenarsenal ist nicht der Rede wert, sogar wenn wir uns darauf einigen würden, wie wir sie benutzen wollen. Ich sage euch, ich wünschte ich wäre wieder in die Southlands gegangen, aus einem einzigen Grund, weil ich nicht glaube ertragen zu können, hier zu sein, wenn die Steward-Armeen im Norden einmarschieren.«
    Maya schwieg. Obwohl sie es versuchte, fiel ihr nichts ein, was sie hätte sagen können.
    »Alles ist so schön«, fuhr Bird fort. »Die Flüsse sind voller Wasser und die Märkte randvoll mit Nahrung und Blumen und allem. Und es erscheint mir alles unwirklich. Wozu ist alles gut, wenn wir es nicht verteidigen können? Und wie verteidigen wir es, ohne so zu werden, wie das wogegen wir uns verteidigen?«
    »Ich kann darauf nicht antworten«, sagte Maya, »aber sieh mal, heute ist der Tag, an dem wir uns erinnern, wie die Juden in Ägypten von der Sklaverei befreit wurden. Der große Befreiungs-Feiertag. So etwas ist also schon einmal passiert, warum soll es nicht wieder passieren? Wir müssen daran glauben, Bird, sogar dann, wenn es gegen jeden gesunden Menschenverstand ist. Wir müssen an Wunder glauben, genauso, wie wir daran glauben müssen, daß die Tage im Frühling länger werden, daß der Regen im Herbst kommen wird. Was könnte mehr als Wunder gelten als diese Ereignisse.«
    »Ich wünschte, daß die Zukunft so verläßlich aussehen würde«, sagte Holybear.
    »Das ist sie niemals gewesen, jedenfalls nicht in meinem Leben«, sagte Maya. »Ich erinnere mich an Johanna und mich, als wir ungefähr zwölf Jahre alt waren, auf dem Nachhauseweg während der Kuba-Krise, und wir fragten uns, ob wir die Raketen pfeifen hören und vorbeiblitzen sehen würden. Und doch, allen damaligen Befürchtungen zum Trotz, hier bin ich heute, in einem hübschen, weißen Kleid, gehe in der Stadt spazieren, das Wasser der klaren Bäche fließt durch fruchtbare Gärten, und niemandem fehlt es an Nahrung oder Unterkunft oder Gesellschaft oder Schönheit. Sorgen mache ich mir allenfalls um eine romantische Liebschaft in diesem zehnten Jahrzehnt meines Lebens.«
    Bird lächelte: »Du möchtest mich aufheitern?«
    »Sofort, bevor ich gezwungen bin, den Beruf des Psychotherapeuten wieder zu erfinden. Oh, ich weiß, du brauchst deine Depression und deine Verzweiflung, du hast dir sicherlich das Recht verdient, dich in deinem Leiden geradezu zu suhlen. Aber ich bin egoistisch. Dies könnte mein letztes Passah-Fest sein, und ich möchte es genießen.«
    Maya, Bird und Holybear gingen um eine Ecke und steuerten auf den Eingang des Turmes zu, von wo aus die bunt bemalten Gondeln abfuhren, die sie hoch über die sich windenden Pfade und Gärten der Stadt tragen würden. Der Turm war vom Transport-Council neu gestrichen worden. Er prangte nun in leuchtenden Farben. Ganz oben schmückte eine leuchtende Spirale das Gebäude.
    »Ich mag diese Spirale nicht«, sagte Maya, »sie scheint mir irgendwie drohend.«
    »Das kommt, weil du Schriftstellerin bist«, sagte Holybear. »Du denkst in Symbolen. Für mich ist es lediglich eine ständige Erinnerung an eine Mathematikklasse, die ich in meinem dritten Jahr an der Universität nicht beenden konnte. Sollen wir den Fahrstuhl nehmen?«
    »Ich kann laufen«, protestierten Bird und Maya gleichzeitig. Dann mußten sie alle drei lachen.
    »Ich treffe euch oben«, sagte Holybear. »Da ich eine halbe Tonne Charoset trage, werde ich den Fahrstuhl nehmen.«

    ✳✳✳

    Das Levanah-Haus war für formelle Anlässe gebaut worden, mit Räumen, an deren Decken

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