Das Fünfte Geheimnis
Maya, auf diese verletzlichen Männer. Sollte man nicht meinen, daß ich in meinem Alter inzwischen darüber hinaus wäre? Dennoch war ihr seine Aufforderung klar.
»Wie kann ich dir vertrauen?«
»Berühre mich.«
Sie streckte vorsichtig einen Finger aus, und er ergriff ihre Hand mit der seinen, die voller Sommersprossen war, das rote Haar auf seinem Rücken schimmerte im Lampenlicht. Eine Bewegung entstand in ihr, etwas entfaltete sich, löste sich und begann zu fließen, wusch sie rein, und die Erleuchtung kam über sie. Der Raum füllte sich mit Licht, golden und silber und mit sanftem Grün, wie bei zarten, neuen Blättern, die aus einem alten Ast hervorsprießen, und ein Duft, wie der Blumenduft des Morgens, erfüllte den Raum.
»Hör mir zu, Maya«, sagte Elijah, »sag dies euren Feinden: Wir haben für euch einen Platz an unserem Tisch gedeckt, kommt, eßt mit uns gemeinsam.«
Damit verschwand der Prophet. Maya sank in einen traumlosen, silbernen Schlaf.
Am Morgen, als Bird ihr Tee brachte, schnupperte er.
»Wieso riecht dein Zimmer nach Rosen?« fragte er.
Kapitel 16
In Gedanken unterhielt sich Madrone oft mit Maya oder Bird. Sie war nun schon länger als eine Woche im Camp auf den Hügeln. Zum Schluß gefiel ihr die spartanische Einfachheit sogar. Man kann auf so vieles verzichten, erkannte sie, und verrührte Honig mit Eichelmehl. Dieses Frühstück, es unterschied sich in nichts vom gestrigen Abendessen. Man kann so viel aushalten, erkannte sie weiter. Auch Hunger, auch Durst. Der Trick dabei war, einfach nicht daran zu denken, nicht einmal daran, daß man nicht daran dachte. Und bei den Göttern, sie hatte auch keine Zeit, daran zu denken.
Es gab übergenug zu tun. Da waren die Kranken zu pflegen und zu versorgen. Da war Melissa, der sie half und die ihr viele Dinge zeigte. Da gab es Eicheln, die geschält werden mußten. Die Eicheln waren zu mahlen und, soweit Wasser vorhanden war, zu waschen, um die Bitterstoffe herauszuspülen. Sie fühlte, wie ihr neue Kräfte zuwuchsen, wie sie ruhiger und selbstsicherer wurde. Sie fühlte sich zäher und gewissermaßen trockener, ähnlich dem Chapparal-Busch, der nur die Ecken seiner Blätter der brennenden Sonne darbot.
Nacht für Nacht versuchte sie, sich zurückzuträumen, zurück zu Lily und dem Council. Doch alles, was ihr in den Träumen erschien war Wasser. Regen tropfte auf das Dach des Black Dragon House, das leise Plätschern des Wassers im Flußbett der City und in den kleinen Nebenkanälen, das schwere Rauschen eines großen Flusses oben in den Sierras. Die wassergefüllten Schalen, welche den Göttern geweiht wurden. Das wunderbare Gefühl heißen Wassers bei der morgendlichen Dusche...
Nur eines kann ich nicht so gut aushalten, wußte sie bald. Ich komme mit dem kärglichen Essen zurecht, ich ertrage auch den Durst. Aber den Schmutz kann ich nicht ertragen, den Geruch meines ungewaschenen Körpers, das Gefühl meiner strähnigen Haare. Und noch schlimmer, den Schmutz, in dem meine Patienten liegen müssen. Es war wirklich besser, auch daran nicht zu denken.
Als sie ihre Monatsblutung bekam, zeigt ihr Rocky, wie sie sich mit getrocknetem Moos helfen konnte. Doch viel bewirkte das Moos nicht, Blut rann ihr die Beine hinunter, und bald konnte sie sich wirklich nicht mehr riechen. Alles schien den Geschmack von rostigem Eisen anzunehmen.
»Ich muß mich ganz einfach mal baden«, sagte Madrone eines Morgens verzweifelt zu Rocky. »Ich weiß nicht, ob ich dafür zur Küste zurück wandern muß, oder ob ich einen Tankwagen hierher schicken lassen kann. Ich weiß nur, daß ich es nicht länger aushalte.«
Rocky lachte. »Vielleicht führt dich jemand zum Wasserfall. Es ist ein Marsch von zwei, drei Stunden, und deshalb überlege ich mir immer, ob es auch wirklich lohnt. Ich frage Hijohn, ob er dich begleitet. Es geht ihm zwar besser, aber er braucht mehr Kondition, bevor er wieder an den Überfällen auf die Stewards teilnimmt.«
»Das klingt nach einem weiten Weg«, seufzte Madrone zweifelnd, »vielleicht sollte ich es lassen?« Sie dachte auch an ihre Patienten.
»Ich schätze, die kommen auch mal einen Nachmittag ohne dich aus. Ich packe dir ein paar Eicheln ein.«
Hijohn kam ein paar Augenblicke später. Er trug ihren Proviant in einem Rucksack und hatte ein Gewehr in der Hand.
»Fertig?« fragte er.
Madrone nickte. Die Waffe machte sie nervös. Waffen hatte sie seit ihrer Ankunft im Camp nirgends mehr gesehen.
»Brauchen wir
Weitere Kostenlose Bücher