Das Fünfte Geheimnis
durchflutete ihren Körper. Oh Gott. Nicht er. Nicht schon wieder. Es ist ungerecht.
»Von allen hier«, sagte Bird, »weiß ich am besten, was auf uns zukommt. Ich weiß, wie ihr System arbeitet. Ich glaube, ich bin so am nützlichsten.«
»Du kannst uns am nützlichsten sein, wenn du dein Talent ausnützt«, sagte Lily. »Vielleicht weiß ich besser als du, wo es liegt.«
Ja, vielleicht ist es ein ganz besonderes Talent, ständig Herausforderungen anzunehmen, dachte Bird erbittert – fuck you anyway.
»Hast du noch nicht genug gelitten, Bird?« fragte Sam leise.
»Wenn die Stewards kommen, müssen wir alle leiden.«
»Und du bist sicher, du schaffst es?« fragte Cress.
Lily kam ihm mit der Antwort zuvor: »Niemand ist jemals ganz sicher, ob er etwas schafft oder nicht schafft. Bist du dir deiner eigenen Herausforderung sicher, Cress?«
»Ich will jedenfalls nicht der große Boss sein«, gab Cress zurück.
»Ich auch nicht«, antwortete nun Bird, »wenn für euch meine Motive fragwürdig sind, ziehe ich mein Angebot gern zurück.«
»Nein, nein, wir wollen dich«, tönte es aus allen Ecken der Halle. Bird hatte die Zustimmung aller. Cress setzte sich schweigend.
Die Debatte ging weiter, aber Maya hörte nicht mehr, was gesprochen wurde. Bird hatte sich gesetzt. Sage legte ihm beruhigend ihre Hand auf das Knie, zeigte ihre Sympathie offen. Warum brauche ich soviel zustimmende Sympathie, fragte sich Bird. Wer kann schon wissen, was uns alles geschehen wird, was wir alles erleiden werden müssen, wenn erst Krieg ist.
Lou meldete sich als Freiwillige, wurde aber abgelehnt. Die City konnte keine Heilerin entbehren. Schließlich wählten sie übereinstimmend den dunkeläugigen Lan, der indonesische Tänze lehrte. Er hatte Frau und Kind bei der letzten Epidemie verloren. Außerdem den weißhaarigen Roberto, Salals Großvater, einen robusten Mann Anfang siebzig.
»Noch weitere Vorschläge?« fragte Joseph.
»Die East Bays haben einen Vorschlag«, meldete sich eine große Frau in grünem Cape, »und ich glaube die North Bay will sich anschließen.«
»Ja?« fragte Salal.
»Laßt uns die Brücken sprengen.«
Totenstille im Raum.
»Wenn Krieg wie ein Virus ist, dann sollten wir versuchen, ihn zu isolieren. Wir haben doch auch die Straßen an der Ostseite der Bay zu dem kontaminierten Gebiet bei San José zerstört. Wir denken, der Feind wird direkt auf die Halbinsel losmarschieren. Wenn sie erst hier sind, sind die Brücken ihre Hauptwege im Osten und Norden. Wenn sie diese erst reparieren oder gar erst über das Wasser kommen müssen, bringt das schon einen erwägenswerten Aufschub. Besonders, wenn wir unsere Wasserversorgung von dort nach woanders verlegen.«
»Das wird sie nicht stoppen, sondern nur ihren Vormarsch bremsen«, wandte einer ein. »Aber was kann in der Zeit nicht alles passieren? Vielleicht ändern sie ihren Plan. Oder uns fällt inzwischen eine neue Strategie ein.«
»Und wenn wir gewinnen?« fragte ein junger Mann. Er trug eine Tunika, wie sie die Techniker bevorzugten, »haben wir die Rohstoffe, um die Brücken später wieder zu reparieren?«
»Die Brücken wurden in den dreißiger Jahren gebaut, die geben uns keine technischen Probleme auf«, antwortete eine Frau.
»Es geht nicht um die technischen Probleme, aber haben wir überhaupt Eisen und Stahl und genug Werkzeug?« protestierte ein älterer Mann. »Wir sind in gewisser Hinsicht sicher das rückständigste und primitivste Land in den Staaten, durchaus vergleichbar mit 1930.«
»Der Bau-Ausschuß hat sich diese Fragen schon gestellt. Wenn es sein muß, schaffen wir das auch.«
»Es ist eine ungeheure Verschwendung«, protestierte Maya.
»Aber eine gerechtfertigte«, sagte Lily, »wir können doch nicht hoffen, aus dieser Sache ungeschoren wieder herauszukommen. Brücken können ersetzt werden, Menschenleben nicht.«
Maya zuckte zusammen. Sie liebte die beiden Brücken, den anmutigen Bogen der Golden Gate Bridge und die langgezogene Linie der Bay Bridge. Sie hatten etwas Menschliches an sich, die Schönheit und Selbstverständlichkeit von lebenden Dingen. Aber sie beherrschte sich. Vielleicht war dies das letzte Opfer, sie würde sich nicht beklagen.
Die Diskussion ging immer noch weiter. Aber im großen und ganzen schien es sinnvoll, die Brücken zu opfern.
»Okay - hier ist unser Schlachtplan«, sagte Salal schließlich. »Wir rüsten uns für den gewaltfreien Widerstand, verweigern dem Feind jede Hilfe, bieten aber den
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