Das Fünfte Geheimnis
brauchen wir beide Meinungen. Aber wir haben ein Problem: Wir haben keine Waffen, um einen Kampf gegen die Stewards zu gewinnen.
Deshalb geht es mir nur um eins: Wir müssen uns einigen, ob wir gewaltfreien Widerstand leisten wollen oder nicht? Wir haben doch gar keine andere Wahl, also laßt uns keine Zeit mehr verlieren. Wir müssen uns einigen, wie wir gewaltfreien Widerstand leisten wollen, um so erfolgreich wie nur möglich zu sein.«
Sie setzte sich, ein Beifallsturm brach los. Aber Cress sprang auf.
»Wer sagt denn, daß wir keinen Krieg gewinnen könnten? Guerilla-Taktiken hatten in Sitiuationen wie dieser schon früher Erfolg, wenn Eroberer auf ein Volk von starker Moral stießen. Warum wollen wir uns selbst die Hände binden? Wir können doch gewaltfreien Widerstand und Terrorakte miteinander verbinden. Wir könnten ihre Führer gefangennehmen und mehr Waffen erobern als wir selbst produzieren könnten.«
Bird stand auf.
»Wir haben Sabotageakte ausgeführt«, sagte er, »überall auf der Halbinsel haben unsere Freunde die Eisenbahnlinien gesprengt. Menschen töten ist aber etwas anderes. Guerilla-Kriege können erfolgreich sein, sie sind aber nicht leicht und schnell zu gewinnen. Mord durch Heckenschützen kann uns Repressionen einbringen. Wir könnten zwar einige von ihnen töten, aber sie können es sich viel eher leisten, Hunderte, ja Tausende Soldaten zu verlieren, während für uns jeder einzelne Mensch in dieser City wichtig ist.«
»Du hast Angst«, entgegnete Cress, »du bist eingeschüchtert, zu ängstlich, sie anzugreifen.«
Der Teufel soll dich holen! dachte Bird voller Wut. Doch plötzlich spürte er, wie Holybears Hand ihn zurückhielt, und er hörte ihn flüstern: »Calmate.« Und warum lasse ich mir das gefallen, fragte sich Bird wütend, bin ich etwa wirklich ängstlich, hat Cress am Ende recht?
Leises Murmeln wurde unter den Menschen im Saal hörbar. Ich glaube, Cress beginnt Sympathien zu verspielen, registrierte Bird. Er ist zu weit gegangen.
»Ja, ich habe Angst«, antwortete Bird also ruhig, »wir haben alle Angst. Wir haben auch Grund dazu. Fünftausend Jahre lang haben Menschen einander zu Graumsamkeiten und Brutalitäten angestachelt, indem sie voneinander behauptet haben, der andere sei feige. Es ist mir gleichgültig, wie du mich nennst. Wir sind bedroht. Es ist nicht der Moment, um unser Machotum zu erproben, sonst gehen wir alle zugrunde. Unterbrich mich nicht, ich bin es, der jetzt spricht!«
Cress hatte sich halb erhoben, aber nun ließ er sich wieder zurücksinken. Er gibt klein bei, dachte Bird. Er fühlte sich ruhiger. Wie würde das alles noch enden?
»Laßt mich nun zum Kern unserer Strategie kommen«, fuhr Bird fort, »ich weiß nicht, wie erfolgreich der gewaltfreie Widerstand sein könnte. Aber es muß soweit kommen, daß der einfache Soldat des Gegners merkt, daß kämpfen nicht zu seinem Vorteil ist. Wir alle wissen das zwar, aber wir wissen nicht, ob wir ihn dazu bringen können, das auch so zu sehen. Aber wir können ihn nicht überzeugen, indem wir seinen Kameraden töten. Und jetzt müssen wir überlegen, welchen von den beiden Wegen wir gehen wollen: Versuchen, sie alle zu töten oder sie für uns einnehmen.
Rein strategisch gesehen, denke ich, der zweite Weg ist die bessere Wahl. Aber wie Sachiko sagte, es ist nicht die einzige Möglichkeit.« Er hielt inne. Er spürte Rios Geisterhand auf seiner Schulter. Alle hören mir aufmerksam zu, als wären sie von dem überzeugt, was ich ihnen sage. Und bin ich selbst davon überzeugt? Vielleicht nicht, aber
– so sprach er insgeheim zu Rio – ich habe an das gedacht, was du mir zu Samhain gesagt hast. Ich habe lange und tief darüber nachgedacht.
»Da ist noch eine andere Sache, die wir klar sehen müssen«, fuhr Bird fort, »nicht, ob wir bereit sind zu sterben, denn viele von uns werden sterben, ob sie nun dazu bereit sind oder nicht. Die Frage, die jeder für sich beantworten muß, heißt, ob er töten will. Dieser Krieg beginnt nicht, wenn die Truppen hier einmarschieren. Dieser Krieg hat schon mein ganzes Leben lang getobt. Ich bin schon tausend Tode in ihm gestorben, und ich habe auch schon getötet. Es ist leicht zu töten, wenn du nur eine Waffe halten kannst. Nichts ist leichter und selbstverständlicher. Meine Hände sind jetzt nicht mehr viel wert, aber ich möchte nicht, daß sie Waffen halten oder Waffen produzieren. Ich will nicht mehr töten.«
Nun war es totenstill. Sie glauben mir,
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