Das Fünfte Geheimnis
plötzlich nervös mit einer Waffe herumfuchtelt. Laßt sie. Das hier wird so einfach sein, nicht wahr? Niemand wird heute nacht irgendjemanden erschießen.«
Sie war Littlejohn dankbar, aber sie fühlte sich noch immer zittrig, irgendwie beschämt. Weil es kein Standpunkt ist, den ich aus Überzeugung einnehme, sondern aus instinktiver Abscheu. Wenn ich wirklich so eine Pazifistin wäre, dürfte ich gar nicht hier sein. Ich dürfte nicht mit ihnen arbeiten und ihren Kampf unterstützen. Aber ich weiß nicht, ob ich es bin, ob ich lieber ins Gefängnis gehen würde, als diese Männer einen Mann töten zu lassen, nur um mich zu beschützen. Und wenn ich so fühle, sollte ich mich selbst verteidigen.
Aber ich kann nicht.
»Kommt dann«, sagte Big John.
✳✳✳
Die Apotheke lag am Rande des Tales auf der Nordseite der Berge. Zwei Stunden schnellen Gehens brachten sie zu einer geschützen Höhle in den Ausläufern des letzten Hügels, von wo sie herunterschauen konnten auf ein riesiges, metallenes Lagerhaus, umgeben von einem Stahlzaun, der oben mit Stacheldraht geschützt war. Bewaffnete Wachen patroullierten vor dem Tor. Madrone und ihre Begleiter saßen versteckt im Dunkel.
»Worauf warten wir?« wisperte Madrone.
»Wachablösung«, sagte Littlejohn. »Ah, da kommen sie.«
Es bewegten sich zwei Männer auf die Torwächter zu, sprachen eine Weile und nahmen dann ihren Platz ein.
»Wer ist unser Freund?« flüsterte Littlejohn.
»Der Lange.« sagte Lately.
Der größere der beiden Wächter verließ seinen Posten und begann seine Runden zu drehen, immer am Zaun entlang.
»Was passiert?« fragte Madrone.
»Er soll das Hintertor aufschließen und den Alarm außer Kraft setzen«, sagte Big John. »Er gehört zum Netzwerk.«
Sie warteten. Madrone versuchte, sich zu beruhigen. Sie nahm an, daß die anderen ihren Spaß hatten. Aber ich bin nicht für derartige Dinge gemacht, dachte sie. Ich bin nicht wie Cleis, den es nach Gefahr verlangte und der dafür starb. Ich möchte nicht sterben und nicht töten.
Nach einer Wartezeit, die endlos erschien, kam der größere Wachposten wieder zum Haupttor zurück.
»Okay«, flüsterte Lately. »Littlejohn, du bleibst hier, sicherst den Vordereingang. Erschieß' niemanden, wenn es nicht unbedingt sein muß, und erschieß' nicht unseren Freund, was auch immer du tust. Bei Schwierigkeiten gib den Warnruf. Begood, du kommst mit uns hinunter, sicherst den Seiteneingang. Wird es schwierig, versuchst du hineinzukommen und uns zu warnen. Okay, laßt uns gehen.«
Sie liefen lautlos immer im Schatten um den Zaun herum zur Südostecke, außer Sicht des Westtores. Eine kleine Tür war im Zaun, und sehr vorsichtig drückte Lately dagegen. Die Tür öffnete sich.
»Kommt mit.«
Madrone folgte Lately und Big John. Sie liefen über die sechs Meter freie Fläche, die das Tor von dem schmalen Seiteneingang des Lagerhauses trennten.
»Betet, daß unser Freund wirklich den Alarm ausgeschaltet hat«, sagte Lately. Er grinste Madrone an, während er gegen die Metalltür
drückte. Sie öffnete sich nach innen.
»Freie Bahn«, sagte er.
Im Inneren überwältigte Madrone der Geruch von Tausenden von Chemikalien. Sie fühlte sich schwindlig, fast taub durch diese Übermacht. Ein ganzer Wald von Metallregalen umgab sie, hochgestapelt mit Kartons und Flaschen und Behältern.
»Wo bekommen sie all dies her? Woher kommt es?« flüsterte sie, überrascht über diese unglaubliche Fülle. Es gab mehr Pillen hier, in diesem einen Lagerhaus, als in allen Lagerhäusern des gesamten Bay-Gebietes zusammen.
»Sie haben überall im Valley Fabriken, streng unter militärischer Kontrolle«, erklärte Lately. »Und Farmen entlang der Küste, wo sie ein paar von den Materialien anbauen. Einige von ihnen sind freie Farmen, aber viele sind Arbeitslager. Du kannst dich einschreiben lassen, wenn du arbeitslos bist, arbeitest sieben Tage in der Woche drei Jahre lang in der heißen Sonne, lebst wie ein Hund, kriegst aber alle Highs und Lows die du schlucken kannst. Diese Häuser mit den grünen Rasen, die du oben in den Hügeln gesehen hast, von dort bekommen viele ihr Geld. Und der Drogen-Schwarzmarkt ist sehr lukrativ.«
»Nichts ist ausgezeichnet!« sagte Madrone. »Wie sollen wir wissen, was für Medikamente das sind?«
»Big John ist zum Scanner gegangen«, sagte Lately. »Du bleibst einfach hier sitzen und läßt uns die Sache erledigen. Wir suchen Booster und Aufputschmittel, und du sagst uns, was
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