Das Fünfte Geheimnis
beobachtet? Warum nur hatte sie der Versuchung nachgegeben und war ins Wasser gesprungen? Sie würde nicht mit heiler Haut hier herauskommen. Niemals würde sie wieder zurück nach Hause finden.
Eine Tür an der gegenüberliegenden Wand öffnete sich, und die Männer verstummten.
»Was soll das alles bedeuten?« fragte eine Frauenstimme. Die Stimme war jung und voller Autorität und Selbstbewußtsein. Madrone blickte schnell hoch. Die junge Frau war groß und schlank. Ihr blondes Haar umschmeichelte das trotzige Gesicht in Wellen. Sie trug ein weißes Kleid aus erlesenem Stoff, der elegant ihren Körper umfloß und jeder ihrer Bewegung folgte. Ihr blasses Gesicht hatte einen leicht rosigen Anhauch, von dem sich meerblaue Augen scharf abhoben. Madrone zwang sich, wieder auf ihre Arbeit zu blicken. doch riskierte sie hin und wieder einen schnellen Seitenblick. Alles an dieser Frau, vom leisen Schwingen ihrer Stimme über die elegante Kurve ihrer Hüfte bis zum Rot ihrer Lippen sprach von Verführung. Madrone hatte noch niemals eine Frau wie diese gesehen. Einige von Holybears Freundinnen waren gewiss sehr hübsch. Aber sie verbrachten Stunden vor dem Spiegel, um sich die Haare zu richten und sich zu schminken. Diese Frau hier war etwas ganz anderes.
Vielleicht war es der Hauch des Todes, die Anwesenheit der bewaffneten Männer, ihre Nervosität. Plötzlich überkam Madrone wieder das heftige Verlangen, all dieses Gemüse, das vor ihr lag, aufzuessen, sich in den Pool zu stürzen. Und sie sehnte sich nach dieser schönen Frau. Sie wollte leben, sie wollte lieben. Aus den Augenwinkeln erkannte sie ein winziges Stutzen der Frau, als sie ihren Blick durch die Küche schweifen ließ und dabei für Sekundenbruchteile an ihr haften blieb. Madrone spürte es mehr, als daß sie es sah. Die Aura der Frau hatte sich verändert.
»Eine Sicherheitskontrolle, Ma'am«, meldete sich einer der Khakimänner zu Wort. »Der Kommandoposten oben auf dem Hügel hat Verdächtige am Swimmingpool gesehen. Vielleicht Wasserdiebe?«
»Unsinn!«
»Es hat verdächtige Geräusche gegeben, Ma'am. Und der Kommandoposten oben auf dem Hügel hat Leute im Pool gesehen.«
Ein Kommandoposten auf dem Hügel, das war eine nützliche Information, dachte Madrone.
»Im Pool? Eine Person im Pool?«
»Jawohl, Ma'am.«
»Mary Ellen, sag dem Gärtner, daß er das Wasser aus dem Pool ablassen und ihn desinfizieren soll.«
»Jawohl, Ma'am.«
»Pardon, Ma'am. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Es sieht weniger nach Wasserdieben aus als nach Hexerei.«
»Unsinn, hier gibt es keine Hexen.«
»Aber was soll sonst gewesen sein, Ma'am? Diese Leute von hier, die können gar nicht schwimmen. Sie haben Angst vorm Wasser.«
»Wozu sollte eine Hexe in unserem Pool herumschwimmen?«
Madrone hörte mit pochendem Herzen diesem Wortwechsel zu, während sie mechanisch Tomaten in dünne Scheiben schnitt. Sollte sie sich das Messer ins Herz stoßen, wenn sie erkannt würde? Welche Chance hatte sie, hier mit heiler Haut wieder herauszukommen? Wieviel Folter würde sie ertragen können? Sie war nicht Hijohn, sie hatte nicht dessen stoische Widerstandsfähigkeit. Oder Bird. Und sie wußte so viel, was diese Männer aus ihr herauspressen konnten, Pläne, Routen, Namen.
»Es wäre doch möglich, Ma'am. Die lassen ihre teuflischen Hexengeister ins Wasser. Und wenn Sie dann ins Wasser gehen, fallen diese Geister über Sie her. Deshalb müssen wir auf jeden Fall das Haus durchsuchen.«
Überall würde rotes Blut an diesen schönen weißen Wänden kleben, ihr Blut, dachte Madrone. Keine gute Art, dieser Frau zu danken, die sie vom Pool weggeholt und im Haus versteckt hatte. Nein, sich das Messer ins Herz zu stoßen, wäre Betrug an dieser hilfreichen Person. Außerdem wollte sie gar nicht sterben. Sie wollte viel lieber den herrlichen Geschmack von frischem Fruchtsaft auf ihrer Zunge spüren, der gerade ihre Finger entlang tropfte. Und sie wollte so gern ihre Hände über den königlichen Körper dieser Frau gleiten lassen, ihre Lippen unter den ihren zittern fühlen.
»Ich kann einfach nicht glauben, daß irgend jemand im Haus ist.«
»Das weiß man nie, Ma'am. Wohin soll diese Hexe denn sonst verschwunden sein. Wir haben das ganze Haus abgeriegelt.«
Konnte Littlejohn noch entkommen? Und was war mit Begood? War sie schuld an seinem Tod, sie mit ihrer Schwäche? Sie mußte verrückt gewesen sein, ins Wasser zu springen, wirklich.
»Okay, durchsucht das Haus,
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