Das Fünfte Geheimnis
meinetwegen. Aber macht schnell, wenn ich bitten darf. Es kommen ein halbes Dutzend Frauen zum Lunch, in einer knappen Stunde.«
Madrone hörte die Tür gehen, und die Männer verschwanden.
»Wenn du mit diesem Gemüse fertig bist, kannst du mit den Kartoffeln dort weitermachen«, sagte Mary Ellen und zeigte auf einen Korb zu Füßen der Spüle. »Kein Wort, solange sie noch im Hause sind.« Madrone gehorchte und machte sich über die Kartoffeln her. Von oben hörte man die Geräusche von herumrückenden Möbeln und Stimmen.
Nach einer endlos langen Zeit schlug die Tür hinter den Soldaten zu. Madrone spürte, wie der ganze Raum sich entspannte, nicht nur sie selbst. Mary Ellen atmete leise auf. Das Geräusch erinnerte Madrone an ihre Großmutter.
»Danke«, sagte Madrone nur, »du hast mir das Leben gerettet.«
Mary Ellen holte tief Luft. Doch bevor sie antworten konnte, kam die blonde Frau wieder herein. Sie bewegte sich mit größter Anmut und Selbstverständlichkeit, nahm einen Küchenstuhl und setzte sich.
»Gieß mir einen Drink ein«, sagte sie zu Mary Ellen, die mit einem schnellen Seitenblick zu einem Schränkchen ging und einen dunklen Likör in ein kleines schmales Glas goß. »Nimm dir doch auch etwas.«
»Danke, nein, Miss Sara.«
»Und du?«
»Nur Wasser, bitte«, gab Madrone zurück.
Mary Ellen warf wieder einen schnellen Blick zur Seite und rückte einen zweiten Küchenstuhl heran. Dann brachte sie Madrone ein Glas und eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank.
»Okay«, sagte Sara, »und wer, zum Teufel, bist du?«
Madrone genoß das kühle Wasser auf ihrer Zunge, sie ließ es langsam im Mund zergehen, bevor sie schluckte. Was immer noch kommen mochte, im Moment fühlte sie sich unglaublich wohl und zufrieden mit dem kalten Wasser im Mund und dem beglückenden Gefühl, endlich nicht mehr durstig zu sein.
»Nun?«
Madrone blickte auf und blickte in ihre Augen, blau und schimmernd wie der Swimmingpool, mit dem alles angefangen hatte. »Ich schätze, ich bin hier die Hexe im Haus.«
»Und was macht eine Hexe in meinem Pool?«
Madrone blickte unverwandt in das Gesicht dieser schönen blonden Frau. Die gab den Blick gelassen zurück. Natürlich, dachte Madrone, diese Frau ist es gewohnt, daß man sie bewundert, anbetet. Dieses ruhige Gesicht, die Ruhe einer verwöhnten Katze.
»Die Versuchung, mich zu waschen und dabei zu erfrischen, war zu groß für mich. Sorry. Es war ein Fehler.«
»Das war es«, stimmte Mary Ellen zu.
Sara warf ihr einen mißbilligenden Blick zu und beendete die Fragerei: »Du gehörst zu den Hill-Boys, richtig?«
»Richtig.«
»Na ja, du bist nicht so, wie ich mir diese Leute vorgestellt habe. Ich hätte nicht gedacht, daß du dich um deine Sauberkeit sorgst.«
»Wenn es kein Wasser gibt, hört man auf damit«, gab Madrone zurück.
»Aber du hast es versucht.«
»Ja.«
»Woher kannst du schwimmen?«
»Wo ich zu Hause bin, ist schwimmen normal.«
»Und wo ist das?«
»Im Norden«, gab Madrone zurück. Dann schwieg sie abwartend. Mary Ellen warf ihr wieder einen schnellen Blick zu und seufzte. Sie würden ihre Geschichte hören wollen, und vielleicht würde sie ihnen diese Geschichte erzählen, sozusagen als Dank.
»Ich bin hier heruntergekommen, um den Web-Leuten zu helfen. Sie haben uns um Hilfe gebeten. Ich bin nämlich eine Heilerin.«
Die beiden anderen Frauen zuckten zusammen.
»Was für eine Heilerin?« fragte Sara nach einer Pause.
Madrone fühlte, wie sich etwas in ihr versteifte bei diesem Ton. Wenn ich eine Katze wäre, dachte sie bei sich, würden sich mir jetzt die Haare auf dem Rücken sträuben. Sie war nicht gewohnt, wie ein Dienstbote angesprochen zu werden.
»Zu Hause bin ich für Geburtshilfe und Gynäkologie zuständig. Hier habe ich den Umständen entsprechend mehr durch Handauflegen geheilt. Im Norden haben wir mit den alten Hierarchien aufgeräumt. Aber auf der Universität habe ich jenen Grad erreicht, der
M. D. genannt wird. Außerdem habe ich Biologie, Spezialfach Heilkräuterkunde, und Chinesische Medizin studiert. Gibt es ein Problem, bei dem ich Ihnen helfen kann?«
Sara blickte sie ziemlich verblüfft an. »Ich wußte nicht, daß im Norden auch Frauen Ärzte werden dürfen. Und ich wußte nicht, daß bei euch auch solche Leute zur Universität gehen.«
»Was für Leute?« fragte Madrone verwundert.
»Du weißt schon«, gab Sara zurück, »Farbige.« Ihre Stimme klang zum ersten Mal irritiert. »Du bist doch eine
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