Das Fünfte Geheimnis
einen Schuß. Sterbend brach Lan zusammen.
Jetzt bin ich an der Reihe, dachte Bird, als der General sich ihm zuwandte. Er nahm kaum wahr, was der Mann sagte, denn er dachte nun an all die Menschen, die er liebte. Adiosa, Madrone. Ich hätte dich so gern noch einmal gesehen. Good bye, Maya. Wie traurig, daß ich dir keinen Abschiedskuß geben kann. Adiosa, Sage und Manzanita und auch dir Holybear.
Alexander wartete. Bird öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
Plötzlich kam Bewegung in die Menge. Eine Gruppe Kinder, von Rosa angeführt, drängelte durch die Menge der schreckensstarren Menschen. Noch bevor irgendjemand etwas tun konnte, hatten sie einen Kreis um Bird und Marie und die beiden Toten am Boden gebildet. Die Offiziere traten überrascht einen Schritt zurück, während Bird von Kindern umringt wurde.
»Wir haben für euch einen Platz an unserer Tafel gedeckt, kommt eßt mit uns gemeinsam«, sagte Rosa zum General und lächelte ihr gewinnendstes Lächeln. Dann schenkte sie den umstehenden Soldaten ein breites, freundliches Lachen. Einige von ihnen schwitzten sichtbar.
Bird war mit dem plötzlichen Auftauchen dieser neuen Situation ganz und gar nicht einverstanden. Verdammt, diese Kinder! Verdammt, ihr Unternehmungsgeist und ihre Heldenverehrung. Und diese blödsinnigen Trainings hatten ihnen die Vorstellung vermittelt, sie seien für solche Situationen gerüstet. Wenn Rosa irgendetwas zustieß...
Der General schaute amüsiert.
»Okay, Jones, das ist ganz deine Kragenweite. Laß sehen, wie du damit fertig wirst.«
Jones trat vor. »Kinder, verschwindet hier«, sagte er. »Ich will euch nicht verletzen, aber wenn's sein muß, dann tu ich's.«
Sie blieben schweigend und lächelnd stehen. Wie konnten sie nur lächeln, fragte sich Bird. Er konnte es nicht, selbst wenn er damit ihr
Leben hätte retten können.
»Ich zähle bis drei. Eins, zwei...«
Ein Junge, den Bird nicht kannte, stellte sich neben Rosa.
»Drei.«
Niemand rührte sich. Jones saht die Kinder an, dann seine Männer, dann wieder die Kinder.
»Ich habe euch gewarnt. Ich will das nicht tun, aber ich werde es tun, wenn ihr euch nicht davonmacht. Also, ich gebe euch noch eine Chance. Eins, zwei, drei.«
»Wir haben für euch einen Platz an unserer Tafel gedeckt, kommt, eßt mit uns gemeinsam«, sagte der Junge.
Der Soldat zog seine Pistole und zielte auf Rosa.
»Bewegt euch!«
Die Kinder blieben unbeirrt stehen.
Er machte einen Schritt vorwärts, drückte Rosa die Waffe unters Kinn und sagte noch einmal. »Bewegt euch!«
Bird wurde es eiskalt. Er konnte sehen, wie die Muskeln im Arm des Soldaten spielten, sah, wie sich seine Augen verengten, wie der Finger zuckte.
Wenn ich nur die Pistole greifen könnte, dachte er, aber wenn ich auch nur eine Bewegung auf ihn zu mache, wird er Rosa töten.
Plötzlich ein Knall, und der Offizier sackte zusammen. In seinem Nacken hatte er ein dunkel blutendes Loch. Einer der Soldaten warf sein Gewehr fort und floh in wilder Hast. Andere rannten hinter ihm her, während die Menge sich zwischen den Fliehenden und seine Verfolger drängte. Menschen rannte und schrien, nur die Menge um Bird herum war zu dicht gedrängt, als daß irgendjemand sich hätte bewegen können. Auch sein Körper wollte fliehen, doch sein Geist sagte, halt, dies hast du doch so gewollt. Dann fielen Schüsse in die Menge, und die Menschen stoben schreiend auseinander. Ein Soldat stieß Bird einen Lauf in den Rücken und drehte ihm den Arm nach hinten.
»Hab' sie, die kleine Hexe!« rief jemand hinter ihnen. Bird drehte den Kopf und sah, wie Rosa Handschellen angelegt bekam und sich verzweifelt sträubte.
Auch er wurde gefesselt und mit Schwester Marie abgeführt.
✳✳✳
»Was ist passiert?« bedrängte Maya Sam. »Ist Bird okay?« Sie hatte die Schüsse gehört, aber die Menge vor ihr hatte ihr die Sicht versperrt.
»Ich glaube, wir haben einen Deserteur«, sagte Sam. »Ganz offensichtlich hat einer der Soldaten den Kerl erschossen, der seine Pistole auf Rosa gerichtet hatte.«
Wieder bewegte sich die Menge. Ein Trupp Soldaten marschierte vorbei, und Maya erspähte Bird und Marie in ihrer Mitte. Rosa wurde von zwei großen Kerlen fortgetragen, sie trat und schrie.
»Geh heim«, sagte Sam zu Maya und drückte ihre Hand ganz fest. »Wir können jetzt gar nichts für die beiden tun. Ich bleibe hier und kümmere mich um die Verletzten.«
Mayas Körper ging heim, während ihr Geist wie ein Hund die City durchstreifte und
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