Das Fünfte Geheimnis
das?«
»Immunobooster? Ich fürchte nein«, sagte Sam, »schon seit zwanzig Jahren nicht. Hast du welche genommen?«
»Wir alle nehmen sie. Sie sind in unserem Essen und halten uns am Leben. Aber die Booster geben ihnen auch Macht über uns. Alle haben Angst, zu euch überzulaufen. Sie sagen, ohne Booster müssen wir sterben. Stimmt das?«
»Ich hoffe nicht«, sagte Sam. »Ich bin Arzt, und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit ihr nicht sterbt. Wir haben aber wenig Erfahrung damit. Ich habe alle Literatur gelesen, die wir haben, aber die Bücher sind zwanzig Jahre alt. Die gegenwärtige Generation der Drogen könnte ganz anders funktionieren. Ich werde ein paar Blutproben nehmen und Tests machen. Ich vermute, daß du die Zeit des Entzugs durchstehen wirst und auch überleben wirst.«
»Sie werden eure Häuser durchsuchen.«
»Wir haben ein Versteck für dich«, sagte Maya. »Als wir unser Haus vor Jahren umgebaut haben, sind ein paar geheime Abseiten entstanden. Nicht gerade luxuriös, aber es geht. Wenn du schlafen möchtest, bringen wir dich dorthin.«
Maya servierte das Essen. Larry aß hungrig und schnell wie ein Hund, der nach allen Seiten sichert, als wollte man ihm sein Futter wegnehmen.
»Das ist gut«, sagte er. »Richtig gut. Richtiges Essen – kriegt man nicht so oft in der Armee. Wir essen so Instant-Sachen.«
»Laß es dir schmecken«, sagte Maya. »Und entspann dich, laß dir Zeit. Du kannst noch mehr kriegen.«
»Warum kümmert ihr Weißen euch so um mich?«
Maya und Sam sahen sich an. Wir sind beide weiß, dachte sie, und ich habe nie darüber nachgedacht. In all den Jahren mit Johanna hat die Hautfarbe uns zwar nicht geteilt, aber es war doch immer ein Bewußtsein dafür da, das wir auch nicht verlieren konnten, weil es überlebenswichtig war. Aber seit zwanzig Jahren war das nicht mehr nötig, bis jetzt, bis die Stewards kamen.
»In dieser Stadt wird kein Mensch nach seiner Hautfarbe oder seinem Herkommen beurteilt«, sagte Maya. »Es mag interessant sein für deine persönliche Geschichte. Aber davon hängt es nicht ab, wie gut du behandelt wirst. Übrigens hast du das Leben von ein paar Leuten gerettet, die wir sehr lieben. Du hast dein Leben dabei riskiert, und das macht dich zu einem von uns.«
Larry schaute gedankenvoll auf. Maya konnte sehen, wie er versuchte, ihre Worte zu verstehen. Sie war nicht sicher, ob das alles für ihn einen Sinn machte.
»Am Tage, als wir einmarschierten, sahen wir, daß ihr hier alle unterschiedliche Hautfarbe habt«, sagte er. »Wir haben im Camp darüber geredet. Bei uns ist das eine Verletzung der Reinheiten.«
»Wir haben hier keine Reinheiten«, sagte Maya. »Nur die Vier Heiligtümer, Luft, Feuer, Wasser und Erde. Und das fünfte Geheimnis, das fünfte Heiligtum ist der Geist, der zumindest ab und zu menschlich ist und nicht verloren gehen kann.«
Sie quartierten ihn in einer Abseite im Obergeschoß ein. Maya gab ihm Wolldecken, Wasser und einen Nachttopf. Unten räumte Sam alle Spuren ihres Essens beiseite.
»Er ist verstaut«, sagte Maya, als sie wieder herunterkam. »Setz' den Kessel auf, ich brauche jetzt einen Tee.«
»Du solltest lieber versuchen zu schlafen.«
»Ja, auch, aber ist da noch irgendetwas, was wir loswerden müssen?«
»Alles ist okay, laß sie nur kommen und suchen.«
Maya setzte sich aufs Sofa. »Ich bin immer noch geschockt, glaub' ich. Haben wir nun gewonnen oder verloren? Roberto und Lan und Göttin weiß, wer noch...«
»Bird lebt.«
»Vielleicht ist das schlimmer für ihn. Wir haben jetzt den offenen Krieg. Unsere Reihen sind zerbrochen. Wir sind vor ihren Gewehren davongerannt... Oh, Sam, ich fühle mich so verantwortlich für alles. Wenn wir es nur mit einer Armee von Larrys zu tun hätten, würden wir gewinnen, da bin ich sicher. Aber Truppen, die aus gezüchteten Killern bestehen? Wie sollen wir die erreichen? Ich wollte, ich dürfte sterben anstelle der anderen.«
»Nein, das willst du nicht.« Sam setzte sich zu Maya, umarmte und küßte sie. »Dies alles ist schwer, Maya, sehr schwer, aber du darfst nicht verzweifeln. Wenn wir an unsere Sache glauben und an die grundsätzliche Menschlichkeit in jeder Person, dann müssen wir dies auch für gezüchtete Psychopathen annehmen und glauben, daß wir sie irgendwie erreichen können.«
»Ich verzweifle nicht, ich bin nur krank vor Kummer.«
Er küßte sie. Und sie saßen beisammen in der Stille und warteten auf ein Klopfen an der
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