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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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dieser Höhe aus konnte sie den Ozean hinter den Hügeln silbern blinken sehen. Für einen Augenblick fühlte sie sich versucht, den Rat des Council anzunehmen, die Arbeit hinzuwerfen, eine Gondel zu nehmen und den Tag mit den anrollenden Wogen zu verbringen. Steine und Muscheln sammeln. Wie lange war es schon her, daß sie einen Tag auf diese Weise verbracht hatte? Immer noch dachte sie an Bird. Er hatte das Wasser geliebt. Als er vierzehn war, hatte er Tag für Tag auf der Bucht gesurft. Sie hatte versucht, es ihm gleichzutun, aber immer wieder war sie abgerutscht und ins Wasser gefallen, und Johanna hatte sie angeschrien, wegen des verseuchten Wassers und Krebs und alldem.
    Plötzlich hatte sie eine starke Vision. Bird stand neben ihr. Er war so real, sie hätte fast ihren Arm um ihn legen können. Er schien verwirrt und hatte Schmerzen. Sie hatte den Eindruck, er würde sie begleiten, wenn sie zum Strand ginge. Sie könnten dort nebeneinander herlaufen, ihre Füße von Wellen überspülen lassen, im Sand liegen und einander festhalten. Er war zum Greifen nah, sie brauchte sich nur nach ihm auszustrecken um ihn in einen physischen Körper zu verwandeln.
    Die goldene Kuppel der Versammlungshalle gläzte hinter ihr in der Sonne. Ihre Arme bewegten sich durch die leere Luft.

Kapitel  4
    Seltsam, dachte Bird, während er mit dem Besen den sauberen Korridor fegte, seltsam, wie die Kraft, die ihn nachts durchströmte, ihn tagsüber verließ und völlig hohl zurückließ. Seine wieder erwachte Intuition schrie in seinem Inneren: Raus hier! Raus hier! Die Stewards hatten Hijohn die letzten zwei Nächte in Ruhe gelassen. Aber es war natürlich nur eine Frage der Zeit, wann sie ihn sich wieder vornehmen würden. Und Bird war nicht sicher, wie lange er noch würde vortäuschen können, daß er sein Gedächtnis verloren hatte. Sein Erinnerungsvermögen wurde von Tag zu Tag besser. Zwar war es immer noch vergleichbar mit den Landkarten der frühen Entdecker, voller großer weißer Flecken. Doch er erinnerte sich inzwischen an genügend Einzelheiten. Vor allem wußte er wieder genau, wer er war und woher er kam. Was würden seine Bewacher unternehmen, wenn sie erkannten, daß er sein Gedächtnis wiedererlangt hatte?
    Nein, sie würden alle drei von hier verschwinden müssen und Birds Aufgabe war es, herauszufinden wie. Littlejohn war zu resigniert, Hijohn zu mitgenommen von seinen chronischen Schmerzen. Zwar schaffte Hijohn es jeden Tag, sich erst zum Appell und dann zur Arbeit zu schleppen. Doch hinterher brach er zusammen und fiel in einen totenähnlichen Schlaf. Aber Bird war ein Hexer mit dem starken Willen, den Hexer haben, wenn sie sich einer Sache ganz hingeben. Es war seine Bestimmung, Hijohn zu retten. Die gemeinsam erlittenen Schmerzen verbanden sie – und das so stark, daß es für Bird undenkbar war, ihn zu verlassen. Diosa, es war seine Bestimmung, Littlejohn zu retten, denn nur wenn er ihm die Solidarität gab, die er dem Liebhaber schuldete, konnte er diese Beziehung einlösen.
    Wenn es ihnen gelang zu fliehen, konnten sie vielleicht die Berge erreichen, aus denen Hijohn kam. Vielleicht konnte er auch irgendwie zurückkehren in sein eigenes Zuhause, in die City, die jeden Tag klarer in seiner Erinnerung erstand.
    Seine Gedanken kreisten ruhelos wie eine Fliege an einer Fensterscheibe. Er mußte hier raus, sie mußten hier heraus, aber sie konnten keinen Ausweg finden.
    »Benutze deine Magie«, hörte er seine Großmutter sagen. Offenbar aber konnte er nur nachts zu seiner Magie finden, wenn er außer sich war vor Schmerzen. Am Tage schien seine Kraft geschwunden, die Verbindung zu dieser Quelle unmöglich. Vielleicht war er zu lange von Erde und offener Luft ausgesperrt gewesen. Die Wirklichkeit schien ihm überschattet, künstlich, nicht real. Auch die Erinnerungen an die City schienen ihm manchmal nur Phantasie zu sein, konnten diese angenehmen Erinnerungen denn tatsächlich Wirklichkeit sein? Er stand den ganzen Tag mit einem Besen in der Hand, doch die Borsten waren aus orangefarbenem Plastik, und er verstand nichts vom Fliegen.
    »Ist hier jemals jemand rausgekommen?« fragte er Littlejohn an diesem Abend, als sie beisammen lagen.
    Littlejohn wälzte sich schwerfällig herum und warf Bird einen Blick zu. Überraschung blitzte in seinen Augen auf, abschätzende Vorsicht. Er hat Angst vor mir, stellte Bird für sich fest. Unsere Körper sind zwar inzwischen aneinander gewöhnt, aber unsere Seelen nicht.

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