Das Fünfte Geheimnis
einen Schlafplatz. Und sie würden ihm weiterhelfen.
Vielleicht war er seinem Ziel schon ganz nah!
Kapitel 7
Also wirklich! Maya atmete tief ein. Streng genommen war Madrone nicht besser als die anderen. Also wirklich nicht. Maya setzte ihren linken Fuß auf die höchste Stufe, machte einen Moment Pause und zog den Körper hinauf. Sie war alt, aber sie weigerte sich, sich klapprig zu fühlen. Ich bin gut drauf, dachte sie. Es ist bloß auf den Treppen. So etwas konnte nur ihr passieren, daß sie die anderen in einem Haus überlebte, das über dem Keller noch drei Stockwerke hatte und in dem die Küche im zweiten Stock untergebracht war, einfach damit sie hell genug war. Sie nahm den Korb mit dem Grünzeug auf den anderen Arm. Als wir noch jünger waren und reich, hätten wir einen Lift einbauen sollen, dachte sie. Aber nein, das wäre ja damals verschwenderisch gewesen. Energieverschwendung. Politisch unkorrekt.
Mühsam erklomm sie Stufe für Stufe. Der Göttin sei Dank, wenigstens hatten sie genug Verstand gehabt und einen Geschirrspüler eingebaut. Und auch Komposttoiletten. Damit waren sie damals der Zeit um Jahre voraus gewesen. Heute war soetwas ja normal.
Aber Madrone machte ihr Sorgen. Anhalten, atmen, weitermachen, wie beim Bergsteigen. Die Flanke eines Berges erklimmen und die Aussicht genießen. Drei tiefe Atemzüge und dann ein neuer Anlauf. So konnte sie es schaffen.
Das Mädchen war einfach erschöpft, das stand außer Frage. Fertig wie ein Paar Jeans, die zwischen den Schenkeln durchgescheuert waren und auf den Knien so oft geflickt, daß es nichts mehr zu flicken gab. Aufgetragen. Reif für die Mülltonne. Seit einem Monat lag Madrone nun schon im Bett und wenn sie gefragt wurde, bestand sie darauf, es gehe ihr gut, nur ein bißchen müde sei sie, etwas Schlaf brauche sie.
Dankbar erreichte Maya die Küchentür. Sie öffnete sie und leerte den Korbinhalt in die Gemüsespüle. Nach all den Jahren war sie immer noch stolz über die Tatsache, daß ihre Küche zwei separate Spülbecken hatte, eins zum Kochen, eins zum Saubermachen. Zufrieden sah sie sich im Raum um. Die Geister um den großen runden Tisch in der Mitte wurden sichtbar, Johanna, die eine Erziehungsthese ausführlich erläuterte, Rio, der dem Baby Cornflakes in den Mund schob, Anix, die den Teig ausrollte und Ben, der eine besondere mexikanische Sorte von Tortillas zubereitete. Und warum wollte das Baby nur aufhören zu schreien, wenn sie alle dreistimmig sangen? Und wollte Brigid nicht immer die verrückte Version des Liedes hören – wie war das noch?
Meine Mama brennt schwarzen Whisky,
Mein Papa brennt schwarzen Gin,
Meine Schwester liebt für 10 Dollar,
Mein Gott, so kommt Geld ins Haus.
Das war ein altes Lied, schon damals, denn in den 90ern, als Brigid noch ein Kind war, hätten 10 Dollar nicht mal mehr für die älteste Nutte gereicht. Richtig, sie erinnerte sich, wie sie die Haight Street runtergegangen war – als sie wie alt war? Siebzehn? Damals in den 60ern, und Männer fuhren an ihr vorbei in ihren Autos und boten ihr 20 Dollar und mehr – damals schon. Sie war natürlich absolut empört gewesen. Entweder tat sie es freiwillig oder gar nicht.
Kommt ins Haus,
Kommt ins Haus,
Mein Gott, so kommt Geld ins Haus...
Sie summte laut vor sich hin, als sie das Gemüse wusch, eine Zwiebel zerschnitt und alles in einem Suppentopf mit Wasser aufsetzte. Wie war noch mal die Originalmelodie? Etwas von der Tomatensauce würde gut in die Suppe passen, und dann würde sie Madrone zum Essen veranlassen. My Bonnie lies over the ocean. Ja, das war's.
Bring back, bring back.
Oh bring back my Bonnie to me.
My Bonnie, mein Liebling. Meine Johanna. Mein Rio. Meine Brigid. Mein Bird. Hör endlich auf. Sie stoppte sich selbst. Die Wahrheit ist – sie lachte, sie erinnerte sich daran wie Johanna sie wegen dieser Redewendung aufzuziehen pflegte.
»Und was genau ist die Wahrheit?« pflegte Johanna zu fragen, »erzähl uns, du weise Frau, was die Wahrheit ist.« Das war, als Mayas Bücher bekannt wurden und Johanna sich Sorgen machte, daß sie nun eingebildet werden könnte.
Aber die Wahrheit war, sie machte sich riesige Sorgen.
Sie zerschnitt Karotten, Zucchini und Sellerie. Die Zucchini wucherten, wie immer, schrien ihr im Vorbeigehen zu. »Hier, iß, bitte! Nimm uns, es ist noch viel mehr da.« Nimm hin. Dies ist mein Fleisch, dies ist mein Blut. Jesus als jüdische Mutter – warum hatte sie niemals zuvor an diese
Weitere Kostenlose Bücher