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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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und neben der stillen Gestalt niederkniete, ja, es war Madrone. Eine Woge des Glücks überschwemmte ihn. Er wagte kaum zu atmen. Madrone lebte!
    Sie sah wunderschön aus, wie sie so schlief. Ihr Haar wallte hinab aufs Gras. Ihre Haut war leicht gerötet wie die Rinde des Madrone-Baumes. Madrones Augenlider zuckten im Schlaf. Träumte sie? Er hätte sie gerne berührt, aber er wollte sie nicht wecken. Sie sah so müde aus. Sogar jetzt, da sie schlief, konnte er Zeichen von Anstrengung und Ermüdung sehen. Sie war dünner als er sich erinnern konnte, und als er näher hinsah, bemerkte er eine leichte Blässe unter der Bronzefarbe ihrer Wangen. Aber sie war wirklich da – und lebte. Er würde erst wieder lernen müssen, das wirklich zu glauben, auch, daß er selbst noch am Leben war.
    Madrone erwachte. Sie fröstelte. Jemand saß neben ihr. Einen schläfrigen Moment lang dachte sie, es sei Sandy; dann kam ihr die Erinnerung schmerzhaft zurück. Sie öffnete die Augen, sie war sehr weit fort gewesen und kam nur langsam zu sich. Vielleicht wurde sie schon wie Maya und konnte die Geister der Verstorbenen sehen. Und hier saß Birds Geist neben ihr, älter, grauer, ernster als der junge Mann, an den sie sich erinnerte.
    »Ich bins wirklich«, sagte der Geist.
    »Bird?«
    »El mismo. Derselbe.«
    »Du lebst?«
    Er lachte. Er war am Leben und er war glücklich, glücklich. »Faß mich an!« Er hielt ihr seine Hand hin und sie nahm sie. Aber was sie da fühlte, waren nicht die schlanken geschickten Finger, die sie früher so gern gestreichelt hatte. Es war die knotige, harte Hand eines alten Mannes. Aber es war kein Geist, sondern das warme Fleisch eines lebendigen Menschen. Es war Bird.
    »Du hast deine Hand gebrochen«, sagte sie.
    »Sie – sie – haben sie mir gebrochen. Ich kann nie mehr Gitarre spielen.«
    Sie streckte die Arme nach ihm aus, drückte ihn fest an sich, und dann begann sie zu weinen. Er hätte auch gern geweint, aber er hatte gelernt, es nicht zu tun. Was er an Schmerz und Kummer im Innersten seines Herzens eingefroren hatte, war noch nicht bereit, wieder aufzutauen. Er würde warten, bis er wußte, um wen er weinen mußte.
    Nach einer Weile schob sie ihn etwas von sich fort, um ihn anzusehen. Sein Gesicht war schmal geworden, die Haut narbig und ledrig. Dunkle Augen sahen sie aus tiefen schattigen Höhlen an. Sie erkannte die Zeichen von Hunger und Schmerz. Er war nicht mehr der hübsche Jüngling, an den sie sich erinnerte. Zärtlich, fragend streckte sie ihre Hand nach ihm aus und berührte seine Stirn. Ja, er war ganz real, ein erschreckend vertrauter Fremder. Bird.
    »Ich kann es nicht glauben«, sagte sie. »Estás vivo! Du lebst wirklich. Du bist wirklich hier.«
    Mit geöffneten Augen kam sie Bird noch schöner vor. Er wollte sich nicht bewegen, nicht sprechen. Nur dieses Glück in der Stille dieses Augenblicks wollte er für immer bewahren. Und doch hatte er eine Ahnung von einem neuen Leben und neuem Glück. Sie würde fortfahren ihn anzuschauen. Sie würde fortfahren zu sein.
    »Ich kann es selbst kaum glauben«, sagte er schließlich. »Ich hatte befürchtet, ich könnte zurückkommen und müßte erfahren, daß ihr alle tot seid.«
    »Viel zu viele sind gestorben«, sagte sie.
    Nun kommt er, der Schmerz, dachte er, aber ich kann ihn nun ertragen.
    »Ich sah die Eingangstreppe«, sagte er dann, »die Kerzen und die Opferschalen.«
    Madrone lachte: »Oh, die sind für mich. Die Leute in der City scheinen in letzter Zeit einen besonderen Sinn für meine Bedürfnisse zu entwickeln. Ich war krank. Aber ich bin nicht tot.«
    »Und wer ist tot?«
    Sie nahm seine Hand: »Dein Bruder...«
    Bird zuckte zusammen. Langsam ließ er die Nachricht in sein Herz eintauchen, langsam verwandelte sie sich in Schmerz.
    »Wer noch?«
    »Sandy starb erst kürzlich.«
    »Nein...!«
    »Doch.« Ihre Augen wurden feucht. Ein Strom von Mitgefühl überschwemmte sie. Wie anders es sich anfühlt, mit ihm gemeinsam zu trauern, dachte Madrone. Mit zitternder Stimme fuhr sie fort.
    »Und die meisten von den Alten. Rio.«
    »Maya?«
    Sie lächelte ihn an und war dankbar, gute Nachricht für ihn zu haben. »Sie macht gerade ein Nickerchen, oben in ihrem Schlafzimmer.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich! Sie hat immer gesagt, du wärest zu schlau, um getötet zu werden. Ich hätte ihr glauben sollen. Aber ich konnte es nicht aushalten, mir vorzustellen, was wohl mit dir passierte, wenn du tatsächlich am Leben warst. Es war leichter

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