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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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und schwer. »Was bedeutet es, dein Werkzeug zu sein?«
    »Dreh dich um und sieh selbst«, wisperte jemand, die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen.
    Zum ersten Mal, seit sie das Messer der Göttin ergriffen hatte, spürte Madrone Furcht. Ja, sie wollte umkehren, sich der Wärme zuwenden, der Hitze und der festen Undurchsichtigkeit des Fleisches. Aber sie war schon so weit gegangen auf der Straße des Sterbens, und der Weg zurück war gepflastert mit vielen Pflichten. Vielleicht hatte sie nicht die Kraft. Sie war so müde. Vielleicht war es schon viel zu spät.
    Langsam wandte sie sich um. Ihre Arme waren bleischwer. Sie dachte, ihre Knie würden die Last des eigenen Körpers nicht tragen können, sie raffte alle Kraft zusammen, wie sie es zu tun pflegte am ersten Tag bei einem Ausflug in die Berge, wenn sie den Gürtel von einem schweren Rucksack stramm zog.
    Wie aus dem Nichts traf ihr Blick eine weinende alte Frau: Maya.
    Okay, Göttin Cihuacoatl, du Schlangenfrau mit den scharfen Zähnen, sagte Madrone zu sich. Wenn es das ist, was du von mir willst, werde ich sehen, was ich tun kann.
    Sie drehte sich herum, Maya zu umarmen. Ihre Arme umschlangen die knochigen Schultern der alten Frau und sie wiegte ihren Kopf. »Weine nicht, weine doch nicht. Es ist okay. Ich will nicht vor dir sterben.«
    Aber Maya fuhr fort zu weinen, doch waren es jetzt Tränen der Erleichterung. Endlich klang Madrones Stimme wieder normal.
    Madrone raffte ihre neuerwachten Lebensgeister zusammen. So, nun muß ich mich um Maya kümmern und um die Kranken, die noch in der Stadt waren und um das Krankenhaus. Wie lange bin ich dort nicht mehr gewesen? Pflichten, Erwartungen: Sie lasteten bereits wieder schwer auf ihren Schultern. Für einen Moment sehnte sie sich dorthin, wo niemand sie kannte, wo niemand Wunder von ihr erwartete oder enttäuscht darüber war, daß auch sie Grenzen hatte.
    »Es ist in Ordnung«, sagte sie erneut zu Maya, »alles wird gut.”
    Jetzt bin ich das Kind geworden, dachte Maya. So ist das, alt zu werden. Ich bin die Nörgelnde, Schützende und Nährende. Aber am Ende müssen die Jungen mich trösten.

Kapitel 8
    Bird hatte die Straßen der City so oft im Geiste durchwandert, daß es ihm ganz unwirklich vorkam, nun wirklich und wahrhaftig hier den Bürgersteig entlang zu gehen. Er konnte es kaum glauben. Um diesen Augenblick hatte er gebetet, ihn herbeigesehnt. Doch nun, da er hier war, stieg kalte Furcht in ihm auf. Die Stadt sah aus wie immer. Aber irgendwie leer. In den Vorgärten der behaglichen alten viktorianischen Häuser blühte es bunt durcheinander. Auch gab es überall Beete mit Sojabohnen, Kürbis und Tomaten. Bewässerungskanäle sorgten für üppiges Grün. Die Obstbäume, an die er sich so oft erinnert hatte, waren groß geworden und wölbten ihr Astwerk, schwer mit Früchten beladen. Als er um die Ecke zu seinem eigenen Häuserblock kam, sah er Kinder, richtige Kinder, die auf den Wegen spielten und in den Gärten herumtobten. Er fühlte, daß er zitterte. Er hatte sich manches Mal gefragt, ob es überhaupt noch Kinder gäbe.
    Seine Beine hatten bei seiner letzten Wanderung die Küste hinauf begonnen, ihm immer öfter den Dienst zu versagen. Wenn ihn Muskelkrämpfe packten, blieb nichts anderes übrig als zu warten, bis er wieder weiterhumpeln konnte. Bird blieb für einen Moment stehen, balancierte vorsichtig, atmete tief. Er hatte keine Eile. Er würde früh genug erfahren, wer noch lebte und wer gestorben war.
    Der Eingang zum Black Dragon House sah sehr verändert aus. Wie ein Altar für die Toten, dachte Bird. Aus einem Fenster im zweiten Stock hing ein Plakat: »Es geht jeden Tag etwas besser. Er starrte es eine Weile an und fragte sich, was es wohl bedeuten mochte. Sollte das eine Affirmation oder eine politische Parole sein? Verwirrt schüttelte er den Kopf. Die Stufen, die zum Eingang hinaufführten, waren mit Votiv-Kerzen, Blumensträußen, Tellern voller Früchte und Körben voller Brot bedeckt. Nur ein schmaler Pfad blieb zum Gehen. Bird hatte Zweifel, ob seine unsicheren Beine ihn dort hinaufbringen würden. Offensichtlich war jemand gestorben, und er zwang sich, nicht zu fragen, wer. Er wandte sich zur schmalen Seitentür, die durch den Flur im Erdgeschoß in den Hinterhof führte. Sie war nicht verschlossen, und er ging hinein und schloß sie hinter sich.
    Auf dem Grasplatz, nahe dem Kräutergarten, lag jemand im Schatten und schlief. Ja, dachte Bird, während er sein Bündel absetzte

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