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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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schmerzte, während er sich ungeschickt die Treppe hinaufschleppte und die Küche durch die Hintertür betrat. In seiner Erinnerung war dieser Raum immer überfüllt gewesen, mit Leuten, die Tee kochten, Essen kochten, Diskussionen führten und mit viel Gelächter um den Tisch saßen. Er ging weiter und stand nun vor der Tür zu Mayas Zimmer.
    Sie kauerte in ihrem bequemen Lehnstuhl und sah sehr zerbrechlich aus, wie eine Inkarnation der weisen alten Göttin. Ihr Haar leuchtete weiß im hereinströmenden Sonnenlicht, und ihr Gesicht war eine schimmernde Landkarte aus Runzeln. Sie sprach mit gesenkter Stimme zu jemandem, der nicht zu sehen war.
    »Ich bin's, Abuelita, ich bin's Bird.«
    Sie erkannte ihn und lächelte ihn an. Ohne Erschrecken, nur mit Erleichterung, denn es war sehr lange her, seit er bei ihr gewesen war, so lange, daß sie begonnen hatte zu fürchten, er sei unwiederbringlich verloren.
    »Bird! Komm herein. Wo bist du gewesen? Und wo bist du jetzt? Du siehst erstaunlich körperlich aus. Ich glaube fast, du wirfst einen Schatten. Strengt dich das nicht an?«
    »Ich bin diesmal wirklich hier, Abuelita. Ich, mein Körper und alles.«
    Sie setzte sich auf und riß die Augen auf.
    »Bird!«
    Er ging zu ihr, und sie klammerte sich an ihn, weinte in sein krauses Haar. Er fühlte sich warm und fest und real an, wie er so in ihren Armen lag. Sie fühlte sein Herz gegen das ihre schlagen und den Puls seines Blutes, Blut von ihrem Blut. »Bird!« Sie stieß seinen Namen immer wieder hervor. »Bird. Bird. Bird. Mein Baby!«
    Er stand ziemlich verrenkt über ihren Sessel gebeugt, und schließlich bemerkte sie, daß es ihm weh tat und ließ ihn los.
    »Setz dich dort hin, so daß ich dich anschauen kann«, befahl sie.
    Maya zitterte vor Freude. Aber sie bezwang sich, so als könnte ihre Freude sich auflösen, wenn sie sich bewegte. Er ist nicht verloren, dachte sie. Meine Familie, meine Linie, Brigids Linie ist wiederhergestellt. Für einen Moment meinte sie, die Anwesenheit ihrer Tochter zu spüren, wie sie mit zarten Lippen ihren Nacken küßte.
    Bird setzte sich in ihre Nähe und sah sie an. Sie nahm seine Hand, rieb sie und streichelte und tätschelte sie. Seine Gelenke waren geschwollen und mißgestaltet und von alten Schmerzen verkrümmt. Sie sah ihm in die Augen auf der Suche nach den Spuren all der Dinge, die er in der Fremde gedacht, gefühlt und erlitten hatte.
    »Wenn du mich auf diese Weise ansiehst«, sagte er, »habe ich das Gefühl, du weißt alles. Und das ist gut.«
    »Nichts ist gut. Es ist unverzeihlich, fortzugehen und uns derartig allein zu lassen. Aber ich vergebe dir. Du lebst, du bist hier, und das ist, was zählt. Erzähl' mir davon. Du warst verletzt?«
    »Ich hab's mehr oder weniger überwunden.«
    »Wo warst du? Da unten, im Gefängnis?«
    »Ja.«
    »Mein armer Junge. Wie hast du's rausgeschafft?«
    »Ich bin geflohen.«
    »Na ja. Du hast dir sicher die Zeit genommen, die du brauchtest.«
    »Maya! Wie kannst du soetwas sagen! Es ist ein Wunder, daß ich's überhaupt geschafft habe.«
    »Unsinn. Was glaubst du, wofür wir dich aufgezogen haben. Damit du ein Galgenvogel wirst?«
    »Diese Vorwürfe sind unverzeihlich.«
    »Ich bin eine alte Frau«, sagte sie. »Ich kann alle Vorwürfe machen, die ich will. Aber jetzt komm und nimm mich noch einmal in den Arm. Du riechst wie ein Hühnerstall, aber ich mach' mir nichts draus.«
    Ihre Arme schmerzten, als sie ihn umarmte. Sie konnte sehen, wie steif und verrenkt er seinen Körper hielt. Und sie konnte die Schmerzen erahnen, die er hinter seinen Augen versteckte.
    Ihre Arme fühlten sich zerbrechlich an. Ein Teil von ihm war wieder der kleine Junge, der sich ankuschelte, um beschützt zu werden. Aber er war jetzt der Große und Starke, der sie in einer festen Umarmung auffangen und sie festhalten sollte , damit sie nicht unversehens entschlüpfte in die wispernde Welt der Körperlosen.
    Schließlich ließ sie ihn wieder gehen. »Hast du Madrone schon gesehen?«
    »Scheint, sie macht mir etwas zu essen.«
    »Das wird sie wohl. Wie geht's dir? Brauchst du irgendetwas? Hast du Wünsche?«
    »Oh, ich möchte nur essen, schlafen, lieben und baden, am liebsten alles zugleich. Und ich möchte dir alles erzählen, was ich die letzten zehn Jahre erlebt habe. Und natürlich alles hören, was hier passiert ist. Und ich möchte einfach nur in der Sonne sitzen und dich ansehen. Ich kann's gar nicht glauben, daß ich wirklich wieder zu Hause bin.«
    »Es ist

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