Das Fünfte Geheimnis
Zärtlichkeit: »Du bist safe.«
»Wie kannst du sicher sein? Sollte ich nicht einen Bluttest machen lassen oder soetwas?«
»Ein Bluttest macht nur Sinn, wenn du weißt, wonach du suchst. Ich traue meinem Gefühl mehr. Meine Schutzengel würden mich warnen, wenn du krank wärest. Ich würde es riechen.«
Sie schlüpfte aus Hemd und Hose und umarmte ihn. Sie begehrte ihn mit einer Inbrunst, von der sie vergessen hatte, daß sie existierte. Er war nun wieder ein Fremdling aus einer unbekannten Welt und zugleich der allernächste, geliebteste, sichere und unschuldige Teil ihrer eigenen Vergangenheit. Als er sie berührte, hinterließ er flammende Spuren auf ihrer Haut. Sie schlang ihre Arme um ihn, klammerte ihre Beine um die seinen mit dem Wunsch, ihn zu geleiten, ihn mitzunehmen in ihren Mittelpunkt, wo alles schmelzen mußte und alles neu erstehen konnte.
Er war hart. Er war nahe daran zu verdursten und sie war eine süße Quelle. Er hielt sich zurück, nahm sich Zeit, sie zu berühren, sie zu streicheln. Aber sie stieß seine Hand fort. Sie wollte angefüllt sein mit ihm, später würde noch genug Zeit sein für all die Spitzfindigkeiten der Liebe.
»Komm herein«, flüsterte sie. »Ich will dich in mir.«
Sie führte ihn herein. Er fühlte, wie sie sich ihm öffnete, ihren Körper und ihren Geist. Und er konnte nichts mehr zurückhalten.
Nach einer Weile gingen sie auseinander.
Er flüsterte: »Ich bin zu schnell gekommen. Das war nicht so gut für dich.«
»Hör auf«, sagte sie zärtlich. »Es war wundervoll. Wieder mit dir zusammenzusein ist wundervoll. Und wir haben so viel Zeit.« Sie begann, ihn zu küssen. Sie begann bei der Stirn und seinem weichen Haar und arbeitete sich zärtlich und sorgfältig über die Augen und den Nasensteg hinab. verweilte lange Zeit bei seinen Lippen. Als sie seinen Hals erreichte, war er schon wieder voll neuer Begierde.
Sie merkte, wie er sich diesmal zurückhielt, wie er sich Zeit nahm. Sie erinnerte sich an seine Finger, die wie Federn gewesen waren. Jetzt konnte sie durch das entfernte Zittern in seinen Fingerspitzen die Härte seiner Knochenbrüche fühlen und die Schmerzen, die immer noch in seinem Körper wohnten. Und sie konnte seine Kräfte fühlen, wie sie gegen den Geist anrannten, ein tieferer und breiterer Strom als sie ihn früher in ihm erkannt hatte. Mit harten Steinen im Zentrum, die sie undeutlich fühlen konnte. Und tiefe Unterströmungen. Auch ihre eigene Kraft war jetzt tiefer, gespeist aus Trauer, Schmerz und Wut. Sie waren keine Kinder mehr. Aber auch etwas sehr Zartes und sehr Süßes gab es nicht mehr. Glück und Schmerz durchwirbelten sie bittersüß, schwollen an. Sie senkte sich auf ihn hinab, und sein harter Wille tobte und raste in ihrem Innern. Dann hatte sie nur noch den Wunsch, ihn zu halten, damit er in ihren Armen zur Ruhe kam.
✳✳✳
Bird hatte den Regen mit sich gebracht. So schien es jedenfalls später den Citybewohnern. Dunkle Wolken krochen über den Horizont, während Maya das Abendessen vorbereitete. Sie stellten Kerzen bereit, und das flackernde Kaminfeuer spendete ihnen nicht nur behagliche Wärme, sondern auch Licht.
Der Tisch war festlich gedeckt, Maya hatte ihr bestes Leinen, das blankgeputzte Silber und das alte Porzellan hervorgeholt, das sie noch von ihrer eigenen Großmutter geerbt hatte. Es gab ein köstliches Ratatouille, Salat, knuspriges Brot – ein Festessen! Alle fühlten sich leicht, beschwingt und glücklich.
Sie aßen langsam, genußvoll, Und während sie das Essen beendeten, grollte in der Ferne der Donner und erste dicke Tropfen trommelten aufs Dach. Maya öffnete ein Fenster und sie atmeten alle genußvoll den Geruch dampfend feuchten Erdreichs ein. Es war der Geruch des zurückkehrenden Lebens, das alljährliche Versprechen der Erde auf Erneuerung.
»Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Madrone, »der Regen ist da!«
Sie gingen auf die hintere Terasse. Madrone räumte die Kerzen und Geschenke von der Treppe, damit Bird nicht darüber stolperte. Den ganzen Weg entlang öffneten sich die Türen, und die Menschen rannten hinaus, um zu tanzen. Die Citybewohner feierten den Regen. Kinder stellten Schüssel und Eimer auf die Straße, um das erste Regenwasser aufzufangen. Die Schwestern vom Nachbarhaus knieten in den Pfützen und sprachen ein Dankgebet. Sogar Maya tanzte und hüpfte, wenn auch etwas steif, den Weg hinunter und schloß sich der Menschenmenge an, die in den Park strömte. Sie faßten sich
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