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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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...«
    »Schon klar«, sagte sie mürrisch. »Musst du nicht erläutern.«
    Und ich konnte nicht länger an mich halten. Mit geschlossenen Augen entglitt ich der physischen Welt, ergab mich mit allen Fasern meines Seins dem Anblick dessen, worüber ich so viele Nächte lang phantasiert hatte und was sich mir nun - endlich! - in aller Klarheit darbot. Dabei interessierten mich die Meilensteine ihres Lebens und seine dunklen und wunden Punkte am allerwenigsten; mein Taktgefühl verbot mir, dort hinzusehen. Was mich vor allem beschäftigte, war ihr Verhältnis zu mir. Und das klärte sich schnell.
    Ich hatte mich nicht geirrt. Ich hätte sie soeben küssen können. Sie hätte nichts dagegen gehabt. Sie hatte es sogar erwartet. Und selbst wenn es nicht beim Küssen geblieben, wenn ich weiter gegangen wäre ... Wie weit, wusste sie selbst nicht. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät?, dachte ich. Schlug die Augen auf, machte eine schüchterne Bewegung zu ihr hin; sie begriff sofort, was ich im Schilde führte.
    »Nein, mein Lieber«, sagte sie. »Das hättest du dir vorher überlegen müssen. Entweder beißen oder das Übrige. Heute bleibst du gefälligst auf Abstand. Einen Meter bitte, mindestens.«
    So einfach wollte ich nicht aufgeben. Doch es war besser, nichts zu übereilen.
    »Möchtest du was essen?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf, sie warf mir trotzdem die Speisekarte zu.
    »Guck mal rein. Die haben hier lustige Sachen zu essen.«
    Ich begriff, dass sie mich ablenken wollte, damit ich möglichst nicht zu tief in sie hineinblickte. Aber sowieso mochte ich diese Welt nicht ohne ihre Erlaubnis betreten. Was ich hatte wissen wollen, war geklärt; in allem Übrigen herumzuwühlen konnte auch für mich nicht von Vorteil sein, da hatte Loki ganz recht. Instinktiv spürte ich, dass ich der Versuchung nicht erliegen durfte.
    Also vertiefte ich mich in die Speisekarte. Auf der ersten Seite bekam man vermittelt, was es mit dem Namen des Restaurants auf sich hatte.
Dem alteingesessenen Russen ist die Extravaganz unseres Lebens schon lange kein Geheimnis mehr:  Wie gräulich und widerwärtig einem das bestehende Regime auch immer erscheinen mag - was danach kommt, wird so sein, dass man des Vorausgegangenen unweigerlich mit akuter Nostalgie gedenkt. Sich diesem Gefühl mit Wonne hinzugeben, fällt am leichtesten bei Wodka (S. 17-18), Snacks (S. 1-3) und alledem, was Sie dazwischen noch so aufstöbern.
    Mir war schnell klar, was Hera mit »lustigen Sachen« gemeint hatte. Es gab eine Tageskarte mit Fischgerichten, die schräge Namen trugen, zum Beispiel: Schwertfisch-Carpaccio »Comandante Ichdudajew« an Limonow-Mousse oder Bouillabaisse »Boule de Bassaiev« oder Fisch topf »Freiheit für Chodorkowski!«. Ich wurde neugierig. Also griff ich nach dem am Boden liegenden Funktelefon, auf dem ein Kellner mit Tablett abgebildet war, und wählte die Freiheit.
    Dann ging ich daran, die Weinkarte zu studieren (beinahe erwartungsgemäß mit Aktenstudium überschrieben: das
    Codewort des Präsidentenbüros, man erinnere sich, wenn Jelzin objektiv nicht ansprechbar war), und las mich beflissen durch die endlose Liste, bis Heras Transparenz endlich schwand. Erst da klappte ich die Karte zu und beglückwünschte mich im Stillen zu so viel Ritterlichkeit, die den Sieg über meine Neugier davongetragen hatte.
    Der Sieg war freilich kein vollständiger - dies und das hatte ich bemerkt. Es nicht zu registrieren wäre genauso unmöglich gewesen, wie die Berge vor dem Fenster zu übersehen, wenn die Gardine zurückzogen wird. In Heras Leben musste eine peinliche Begebenheit stattgefunden haben. Sie hing mit Ischtar zusammen, der auch Hera gleich nach Bekanntschaft mit den Chaldäern ihre Aufwartung gemacht hatte. (Die anschließende Prozedur hatte sich genauso abgespielt wie bei mir, nur dass Marduk Semjonowitsch sie in die Gesellschaft eingeführt hatte, und nach der »spiritistischen« Seance war es eine Furie aus der Unterhaltungsbranche, gegen die sie sich unter Zuhilfenahme einer Flasche zur Wehr setzen musste.) Etwas war zwischen Ischtar und Hera vorgefallen, und jetzt steckte Hera in einer Depression. Noch dazu schien ihr irgendein Schreck in den Knochen zu sitzen.
    Was am Grunde von Heartland genau geschehen war, ließ sich jedoch seltsamerweise nicht erkennen; man hatte den Eindruck einer Teilfinsternis. So etwas war mir nie zuvor begegnet, deshalb konnte ich mir eine Frage nicht verkneifen.
    »Was ist da mit dir und

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