Das fuenfte Imperium
Ischtar Borissowna gewesen?«
Heras Stirn furchte sich.
»Oh, bitte nichts davon, tu mir den Gefallen ... Alle wollt ihr nur das eine wissen - erst Mitra, jetzt du ...«
»Mitra?«, fragte ich.
Meine Aufmerksamkeit wischte diesem Namen hinterher - und ich begriff, dass Hera mit Mitra beinahe genauso gut stand wie mit mir. Beinahe. Und obendrein ...
Mitra hatte sie gebissen, musste ich mit einer Mischung aus Zorn und Eifersucht feststellen. Zweimal sogar! Und sie ihn einmal. Mehr war zwischen ihnen nicht passiert, doch das genügte vollauf. Ihre innige Vertrautheit miteinander war das Letzte, was ich im verblassenden Strom ihres Gedächtnisses noch hatte wahrnehmen können. Das Fenster schloss sich. Und kaum war es zu, verspürte ich den gewaltigen Drang, sie erneut zu beißen und zu erfahren, welche Rolle Mitra in ihrem Leben spielte.
Natürlich wusste ich, dass ich das nicht tun durfte. Denn es war völlig klar: Nach dem zweiten Biss würde ein dritter folgen müssen, dann ein vierter - und so ohne Ende. Sucht nach Blut, Sucht nach Entblößung ... Eine Krankheit des Gemütes, der zu erliegen ich mir plötzlich vorstellen konnte: beim geringsten Anlass die fremde Seele umstülpen, ihr Innerstes ans Licht zerren zu wollen ... Man bräuchte der Versuchung nur ein-, zweimal nachgeben, und schon liefe man Gefahr, dem geliebten Geschöpf das ganze Blut auszusaugen.
Etwas von alledem schien sich in meinem Gesicht widerzuspiegeln, denn Hera fragte errötend: »Was ist? Was hast du gesehen?«
»Mitra hat dich gebissen?«
»Ja. Darum möchte ich ihn nicht mehr sehen. Und bei dir wäre es das Gleiche, solltest du es ein zweites Mal wagen.«
»Was denn - nie mehr? Kein einziges Mal?«
»Es ist wichtig, dass wir beide einander vertrauen können«, sagte sie. »Wenn wir einander beißen, geht alles Vertrauen flöten.«
»Wieso?«
»Wozu noch vertrauen, wenn man sowieso alles weiß?«
Das war logisch.
»Aber ich wäre nicht der, der angefangen hat«, sagte ich. »Das warst du.«
»Ist ja wahr«, seufzte sie. »Das hat mir Loki so beigebracht. Mit einem Mann müsse man extrem zynisch und gnadenlos umspringen, auch wenn das Herz es anders möchte.«
In diese Erfahrungszone war ich bei ihr auch nicht vorgedrungen.
»Loki?«, fragte ich. »Was hat der dich denn unterrichtet?«
»Kampfkunst und Liebeskunst. Genau wie dich.«
»Aber er ist doch ... ein Mann!«
»Zu den Unterrichtsstunden in Liebeskunst kam er in Frauenkleidern.«
Das versuchte ich mir vorzustellen - vergeblich.
»Seltsam«, sagte ich. »Mich hat er das Gegenteil gelehrt: Ein Vampir dürfe eine Frau nicht beißen, wenn er in sie ... sich für sie interessiert. Um das Interesse nicht zu verlieren.«
Hera ordnete ihre Frisur.
»Und?«, fragte sie. »Passiert?«
»Nein«, antwortete ich. »Ich hab ja so gut wie nichts gesehen. Du kannst davon ausgehen, dass ich immer noch nichts von dir weiß. Ich wollte nur, dass wir quitt sind. Als du mich damals vorm Museum gebissen hast, da ...«
»Hör auf damit«, sagte Hera. »Themawechsel.«
»Einverstanden«, sagte ich. »Was ich nur noch fragen wollte: Warum konnte ich nicht sehen, was dir mit Ischtar passiert ist? Wie geht das zu?«
»Es steht in ihrer Macht. Was zwischen Ischtar und der von ihr gebissenen Person geschieht, bleibt anderen verborgen. Was du mit ihr besprochen hast, könnte ich genauso wenig sehen. Nicht mal Enlil und Marduk können das.«
»Du kommst mir so verstört vor. Irgendwie von der Rolle.«
Heras Gesicht wurde wieder düster.
»Ich sagte doch, dass ich darüber nicht reden will. Vielleicht erzähl ichs dir später mal.«
»O.k.«, gab ich nach. »Lass uns von etwas Lebensbejahendem reden. Wie macht sich Loki im Kleid?«
»Hervorragend. Er hat sich sogar künstliche Titten umgeschnallt. Wenn du mich fragst: Ihm macht das großen Spaß.«
»Und was habt ihr im Liebeskurs durchgenommen?«
»Loki hat die Statistik ausgewertet.«
»Statistik? Was denn für eine Statistik?!«
»Interessiert dich das wirklich?«
Ich nickte.
»Also, er hat gesagt ...« Hera legte die Stirn in Falten. »Warte, ich habs gleich ... Das Verhältnis des durchschnittlichen Mannes zur Frau ist von Grobheit, Gemeinheit und äußerstem Zynismus geprägt... Umfragen zufolge gibt es vom Standpunkt männlicher Sexualmoral aus nur zwei Typen von Frauen: Zicken, die den Beischlaf verweigern, und Schlampen, die einverstanden damit sind. Der Mann verhält sich zur Frau nicht nur zynisch, sondern zutiefst
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