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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Gefühl, einen wichtigen Gedanken gehabt, doch sogleich wieder verloren zu haben, unwiderruflich ...
    Wir näherten uns dem Ziel der wilden Reise: Ischtar, dem unsichtbaren Koloss. Mit dem Aufprall, so wusste ich, würde alles vorüber sein. Und in der letzten Sekunde meiner Reise fiel mir ein, dass ich von alledem schon einmal gewusst hatte. Als Kind hatte ich Vampire durch meine Träume fliegen sehen, ich hatte erkannt, dass sie mir das Wichtigste im Leben stahlen. Doch weil es dem Menschen verwehrt ist, diesen Traum mit in den Tag zu nehmen, glaubte ich nach dem Aufwachen, der fledermausartige Fächer über meinem Bett müsste der Grund sein für die Angst...
    Dann der Schlag. Dabei, merkte ich, gab die Zunge die ganze eingefahrene Ernte an Ischtar ab. Und anschließend geschah etwas, das ich einfach nicht mit Worten wiedergeben kann. Wobei mich das auch gar nicht betraf, es ging nur die Zunge etwas an. Ich dämmerte weg.
    Mein Geist kam zum Erliegen wie die Oberfläche eines Sees bei völliger Windstille: Nichts bewegte sich. Wie lange das andauerte, ist schwer zu sagen. Dann traf auf die Oberfläche dieses Nichts ein Tropfen.
    Woran er sich zerschlug, weiß ich nicht. Doch für einen Augenblick geriet der unsichtbare ewige Hintergrund, vor dem sich alles Übrige abspielte, ins Schwanken. So als schaute man in den Himmel, ins Geäst der Bäume, und auf einmal kräuselt sich alles, und man merkt, es ist gar nicht die Welt, in die man schaut, sondern ihr Spiegelbild im Wasser. Früher hatte ich nicht gewusst, dass es diesen Hintergrund gab. Und da ich ihn nun sah, fiel mir wie Schleier von den Augen, dass ich alles bis dahin Geschehene ganz falsch aufgefasst hatte. Gleich wurde mir leichter zumute, viel leichter und fröhlicher.
    Früher hatte ich angenommen, das Leben bestünde aus Vorkommnissen, die mir und anderen zustießen. Gute und schlechte Vorkommnisse - überwiegend letztere, warum auch immer. Und all diese Ereignisse fänden an der Oberfläche einer massiven Kugel statt, auf die die Schwerkraft uns niederdrückt, während diese Kugel selbst durch das leere All fliegt.
    Nun aber begriff ich, dass alles, was sich im Universum befand und abspielte: Ischtar, die Vampire, die Menschen, an der Wand klebende Fächer und am Planeten klebende Jeeps, Kometen, Asteroiden, Sterne, ja selbst der leere Kosmos, durch den das alles fliegt, und ich mittendrin - dass all dies nur Wellengekräusel ist, das über den unsichtbaren Hintergrund hinweggeht. Wellen wie die, die sich eben nach dem Aufschlag des Tropfens in meinem Bewusstsein ausgebreitet haben. Ein jegliches auf der Welt ist aus ein und derselben Substanz gemacht. Und diese Substanz bin ich.
    Die Ängste, die sich über die Jahre in meiner Seele angestaut hatten, lösten sich in der neuen Erkenntnis augenblicklich auf. Ich hatte auf dieser Welt nichts zu befürchten, so wie auch von mir keine Gefahr ausging, für nichts und niemanden. Weder mir noch anderen konnte Böses geschehen. Die Welt, so wie sie beschaffen war, schloss das aus. Und das zu begreifen war das größtmögliche Glück. Dessen war ich mir sicher, denn dieses Glück erfüllte mich ganz und war mit dem, was ich je erlebt und erlitten, nicht zu vergleichen.
    Warum habe ich das bloß früher nicht gesehen?, wunderte ich mich. Und wusste im nächsten Moment, warum: Sehen kann man nur, was Form und Farbe, Maß und Kontur hat. Diese Substanz aber hatte nichts von alledem. Alles existierte nur in Form von Wellen und Wirbeln auf ihr - von ihr selbst ließ sich nicht einmal sagen, ob sie überhaupt existierte, denn es gab keinen Weg, die Sinnesorgane von ihrer Existenz zu überzeugen ...
    Wäre da nicht dieser eine, wer weiß woher rührende Tropfen gewesen. Der mich für einen Moment aus der eingebildeten Welt herausgerissen hatte (dass sie nur eingebildet war, wusste ich jetzt sicher, auch wenn alle ringsumher an sie glaubten). Alles, so dachte ich in stillem Triumph, alles! würde sich nun ändern in meinem Leben, und was ich gerade begriffen hatte, das vergäße ich fortan nie mehr.
    Und wusste im selben Moment, dass ich es schon vergessen hatte.
    Das Ganze war zu Ende. Um mich her gerann das zähe, verstockte, ausweglose Leben mit Kaminen, Sesseln, einer grinsenden Goldsonne an der Decke, Bildern an der Wand und Baal Petrowitsch im langen roten Umhang, gerann zur alten Form. Alles eben Erkannte konnte mir nicht mehr nützen, weil der Moment, da ich es erkannt hatte, der Vergangenheit angehörte. Jetzt

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