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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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aber herrschte Gegenwart. In ihr war alles real und konkret. Und es spielte keine Rolle, aus welcher Substanz die Dornen und Stacheln dieser Welt bestanden. Entscheidend war, wie tief sie ins Fleisch drangen. Und sie drangen mit jeder Sekunde tiefer - bis die Welt wieder so war wie immer.
    »Und?«, fragte Baal Petrowitsch, in mein Gesichtsfeld rückend. »Wie ist das werte Befinden?«
    Alles in Ordnung, wollte ich sagen, doch stattdessen sagte ich:
    »Kann ich noch mal?«
    »Au ja«, sagte Hera. »Ich auch. Geht das?«
    Baal Petrowitsch lachte.
    »Da seht ihrs. Nun wisst ihr, was Durst bedeutet.«
    »Ist das zu machen oder nicht?«, beharrte Hera.
    »Keinesfalls. Ihr müsst euch bis zum nächsten Mal gedulden.«
    »Und dann wird es genauso sein wie diesmal?«, fragte ich.
    Baal Petrowitsch nickte.
    »Es wird immer so sein wie beim ersten Mal. Immer wieder so frisch und klar und ungreifbar. Wieder und wieder wird es euch zu dieser Erfahrung drängen. Und die Strapazen der Einstiegsphase werden euch nicht davon abhalten.«
    »Kann man sich solche Eindrücke auch auf andere Weise verschaffen? Ohne Bablos?«, fragte Hera.
    »Das ist ein schwieriges Feld. Da bin ich ehrlich überfragt«, antwortete Baal Petrowitsch. »Die Tolstoianer zum Beispiel sind der Meinung, dass man es kann - bei ausreichend schlichter Lebensführung. Aber soweit ich weiß, hat es noch bei keinem von ihnen geklappt.«
    »Auch nicht bei Osiris?«, fragte ich.
    »Osiris?«, Baal Petrowitsch runzelte die Stirn. »Über den hört man so manches. Er habe sich in den sechziger Jahren das Bablos intravenös gespritzt. Gedrückt, wie man damals zu sagen pflegte. Was der Kopf dabei auszuhalten hat, wage ich mir nicht vorzustellen. Ihn traut sich heute jedenfalls keiner mehr zu beißen. Niemand weiß, was in seinem Kopf vorgeht und was für eine Art Tolstoianer er in Wirklichkeit ist. Mit einem Wort: Osiris ist terra incognita. Doch es besteht die Ansicht, Heilige seien zu vergleichbarem Erleben fähig. Wieder andere sagen, auf den höchsten Stufen der Yogakunst gebe es ähnliche Erfahrungen.«
    »Höchste Stufen, was heißt das?«, fragte Hera.
    »Das kann ich nicht sagen. Keinem Vampir ist es bisher gelungen, einen so weit fortgeschrittenen Yogi zu beißen. Von Heiligen ganz zu schweigen, die gibt es schon lange nicht mehr. Der Einfachheit halber sollte man davon ausgehen, dass das Saugen von Bablos der einzig natürliche Weg für einen Vampir ist, um seinen Durst zu stillen. Durst und Bablos sind zwei Seiten eines biologischen Mechanismus, der der Großen Maus das Überleben sichert. So wie sexuelle Lust der Garant für die Fortpflanzung ist.«
    Er tippte auf das Steuerpult, und ich hörte die Elektrik leise surren. Der Brustschild fuhr nach oben, mit einem Klick sprangen die Arretierungen an Armen und Beinen auf.
    Ich erhob mich. Ein kleiner Drehwurm war noch zu spüren, ich fasste sicherheitshalber nach der Sessellehne.
    Neben dem Kamin stand das Geldköfferchen - offen und leer. In der Asche hinter dem Kamingitter waren halb verkohlte Reste von Tausendrubelscheinen zu erkennen. Baal Petrowitsch hatte das Ritual mit größter Gewissenhaftigkeit durchgeführt; vielleicht war es für ihn eine Religion, als deren Hoher Priester er sich fühlte.
    Jetzt stand auch Hera auf. Sie war blass und schaute ernst. Als sie die Hand hob, um ihre Haare zu ordnen, sah ich, dass sie zitterte.
    »Bleibt noch eine kleine Formalität«, wandte sich Baal Petrowitsch an sie. »Und ladies first , wie es die Höflichkeit gebietet.«
    Er hielt ein glänzendes rundes Etwas in der Hand; es hätte eine große Münze sein können. Sorgfältig befestigte er es an Heras Shirt, das davon gleich Falten schlug, das Ding war offenbar schwer.
    »Was ist das?«, fragte Hera.
    »Die Geldgott-Gedenkplakette«, antwortete Baal Petrowitsch. »Jetzt wisst ihr auch, warum wir die Namen von Göttern tragen.«
    Nun war ich an der Reihe.
    »Ich war früher einmal Juwelier«, erklärte er, »und fertige die Orden selbst an, so wie ich es damals gelernt habe. Jeder ist einmalig. Deiner ist etwas eigentümlich. Mit Eichenflügeln!«
    »Wieso?«, fragte ich argwöhnisch.
    »Es hat nichts zu bedeuten. Ergab sich einfach so. Es sollten Flügel werden, und dann sahen sie nach Eichenlaub aus. Aber gottlob sind wir keine Nazis. Wir sind Vampire. Also kein Eichenlaub, sondern Eichenflügel. Schau doch, ich finde, es sieht hübsch aus.«
    Ich betrachtete die stumpfglänzende Platinscheibe auf seinem

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