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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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gebildet, die den Luftwiderstand von mir nahm. Von Zeit zu Zeit spürte ich eine Kontraktion im Hirn, und die Flugrichtung änderte sich, was sehr unkomfortabel für mein Befinden war.
    Wenig später begannen sich in den Wolken Leuchtpunkte abzuzeichnen. Erst ganz matt, dann immer heller. Ich war mir sicher, dass sie mit Menschen in Zusammenhang standen. Vielleicht waren es menschliche Seelen, vielleicht auch nur Gedanken, Träume von irgendwem - oder etwas zwischen alledem ...
    Und dann wusste ich auf einmal, was das war.
    Es war der Teil des menschlichen Bewusstseins, den Enlil Maratowitsch als Geist B bezeichnete. Kugeln, von denen ein zartes Perlmuttleuchten ausging, Polarlicht hatte er es genannt. Die Kugeln waren auf unsichtbare Fäden gezogen und bildeten lange Girlanden. Unzählige davon wanden sich spiralig hin zu einem winzigen schwarzen Fleck. Dort befand sich Ischtar; ich sah sie zwar nicht, doch es war so fraglos klar wie der Standort der Sonne an einem heißen Sommertag.
    Plötzlich vollführte mein Körper ein jähes und sehr schmerzhaftes Manöver (mir war, als führen alle Knochen knirschend auseinander), und schon glitt ich auf einem dieser Fäden entlang, stob durch die Geistesblasen, eine nach der anderen.
    Soweit ich es beurteilen konnte, tat ich ihnen dabei nichts an - konnte ich auch nicht, denn sie waren nicht wirklich vorhanden. Und nicht auf diese Blasen hatte die Zunge es abgesehen, sondern auf den kleinen Tropfen Hoffnung und Sinn, der in jeder von ihnen reifte. Gierig sog die Zunge diese grellroten Tröpfchen in sich auf, schwoll und glühte in düsterer elektrischer Freude, von der mir zunehmend flau im Magen wurde.
    Ich fühlte mich als Schatten, der durch Tausende von Träumen flog und sich von ihnen nährte. Die fremden Seelen erschienen mir wie aufgeklappte Bücher - ich erfuhr alles über sie. Jene Tagträume waren mein Brot, in die der Mensch ein ums andere Mal fällt, ohne es zu merken, sobald sein Blick eine Hochglanzseite, einen Bildschirm oder ein fremdes Gesicht scannt. In jedem Menschen entfaltete sich die purpurne Blüte der Hoffnung, und obwohl diese Hoffnung zumeist kaum sinnvoller war als das letzte Kikeriki eines Grillhähnchens - die Blüte war echt, und der unsichtbare Schnitter, der auf meiner schaumbedeckten Kruppe dahinflog, kappte sie mit seiner Sense vom Stengel. In den Menschen vibrierte ein rotes Energiewendel, ein glimmender Lichtbogen zwischen dem, was sie für die Wirklichkeit hielten, und dem, was sie zum Traum zu erklären sich abfanden. Die Pole stimmten nicht, aber der Funke zwischen ihnen war echt. Die Zunge verschlang ihn, blähte sich und brachte meinen armen Schädel zum Bersten.
    Es fiel mir immer schwerer, bei dieser Jagd mitzuhalten. Das Tempo, in dem das Geschehen mich ansprang, war unerträglich. Ich wusste selbst nicht, wie ich es fertigbrachte, in jeden Menschen, dessen Geist ich durchflog, einen Blick zu werfen, es bereitete mir physische Schmerzen, dieses Tempo durchzustehen. Die einzig mögliche Ablenkung war, vorsätzlich einem dieser trägen Menschengedanken aus schweren, verlässlichen Menschenworten hinterherzudenken. Nur dadurch konnte ich mein Hirn diesem wie rasend rotierenden Schmirgelkopf ein Stück weit entrücken.
    Also dachte ich: Irgendwo schlafen Kinder, und man meint, sie träumten ihre Kinderträume, dabei produzieren auch sie schon ihr Bablos wie die Großen ... Von Kindesbeinen an schuften sie ... Auch bei mir war es so, ich weiß noch, wie ... Ich weiß noch, wie dieser grellrote Hoffnungstropfen in mir reifte ... Der Glaube, man würde demnächst etwas ganz Wesentliches erkennen, etwas zu Ende bringen, eine Entscheidung treffen - und dann finge ein neues Leben an, das wahre, das richtige Leben ... Doch dazu kommt es nie, weil der rote Tropfen immer wieder verschwindet, sich also immer wieder neu in uns ansammeln muss. Darüber vergeht das Leben, bis wir es irgendwann müde sind. Und dann bleibt nur, sich ins Bett zu legen, zur Wand zu drehen und zu sterben ...
    Nunmehr wusste ich, wohin der Tropfen verschwand. Immer schneller fiel ich durch die Leben fremder Menschen, mein Reiter pflückte emsig die letzten roten Beeren des Sinns, schluckte sie und stillte so seinen unbegreiflichen Hunger. Nicht wenige Menschen sah ich, die ahnten, was ihnen geschah, die nahe davor waren zu begreifen, doch dann reichte es wieder nicht zum entscheidenden Gedanken. Es gellt der Schrei der Großen Maus, und dem Menschen bleibt das vage

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