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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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ist das?«
    »Ein Nagel«, wiederholte ich achselzuckend. »Was gibt es da zu fragen?«
    »Aber wovon ist die Rede? Von diesem Stück Metall? Oder von dem Eindruck, den du davon gewinnst? Oder ist der Nagel der Eindruck? Oder ist der Eindruck der Nagel? Anders gesagt: Geht es dir darum, dass der Nagel in unserem Bewusstsein widergespiegelt wird, oder darum, dass wir das Wort Nagel auf unsere Umwelt projizieren, um aus der Vielzahl von Elementen diejenigen hervorzuheben, die mit dieser Lautgruppe zu bezeichnen Übereinkunft besteht? Oder geht es dir womöglich um den finsteren und unheimlichen Glauben gewisser Leute, demzufolge so ein Nagel autonom und außerhalb der Grenzen des Bewusstseins existiert?«
    »Ich blicke nicht mehr durch«, sagte ich.
    »Richtig. Du blickst nicht mehr durch. Und dabei bleibt es.«
    »Und was hat das alles mit meiner Frage zu tun?«
    »Das will ich dir sagen. Du fragst mich: Worin besteht der Sinn des Lebens? Das hier«, er fuchtelte mit dem Nagel in der Luft herum, »ist ein simples Stück Schrott. Wir haben gesehen, dass der Leertakt deiner Geldtitte nicht einmal das zu durchschauen in der Lage ist. Obwohl du das Ding angreifen, verbiegen oder jemandem in die Hand rammen kannst. Du aber fragst mich nach etwas, das nirgends existiert als in der Einbildung. Und auch dort nicht permanent und verlässlich. Eine schüttere Wortwolke ersteht für einen kurzen Moment und bezaubert durch die Illusion von Sinn, um spurlos wieder zu verschwinden, sobald Geist B sich fragt, wo das Geld ist. Verstehst du?«
    »Nein.«
    »Auch gut, Rama. Finde dich ab damit.«
    Ich nickte.
    »Fängt der Mensch - und der Vampir ist, unter uns gesagt, auch nur eine verbesserte Ausgabe des Menschen -, fängt der erst mal an, über Gott nachzudenken, über den Ursprung der Welt und ihren Sinn, dann ähnelt er dem Affen im Marschallsrock, der, seinen nackten Arsch schwenkend, durch die Zirkusarena springt. Zur Entschuldigung des Affen lässt sich sagen, dass die Menschen ihm den Rock angezogen haben. Du, Rama, ziehst dir die Jacke selber an.«
    Osiris warf den Nagel auf den Tisch und drückte den Knopf neben dem Wandtelefon. Auf dem Korridor klingelte es.
    »Zeit zum Mittagessen. Grigori bringt dich zur Tür.«
    »Danke für die Aufklärung«, sagte ich, mich erhebend. »Auch wenn ich, ehrlich gesagt, nicht viel schlauer bin als zuvor.«
    »Das muss man auch nicht sein wollen«, sagte Osiris lächelnd. »Man muss nicht alles verstehen - das vor allem ist es, was man verstehen muss. Wozu etwas verstehen wollen, was man ohnehin schon weiß? Ein Tropfen Bablos erklärt mehr als zehn Jahre philosophische Dispute.«
    »Warum sind Sie dann vom Bablos auf die rote Flüssigkeit umgestiegen?«, fragte ich.
    Osiris zuckte die Schultern.
    »Some dance to remember«, sagte er, »some dance to forget.«
    Der schnauzbärtige Moldawier kam herein, und ich verstand, dass die Audienz beendet war.
    Wie beim letzten Mal brachte der Moldawier mich zur Wohnungstür. Diesmal aber trat er mit mir auf den Treppenabsatz hinaus und schloss die Tür hinter sich bis auf einen Spalt.
    »Der Fahrstuhl geht nicht«, sagte er leise. »Ich bringe Sie hinunter.«
    Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, nahm aber sicherheitshalber den äußeren Weg, die Wand entlang, und hielt mich vom Geländer, hinter dem der Treppenschacht gähnte, fern.
    »Entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit«, sagte der Moldawier. »Ich bin eigentlich Professor für Theologie in Kischinjow. Das hier ist nur ein Zubrot für mich. Bei uns in Kischinjow besteht derzeit kein Bedarf an Theologieprofessoren.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich mitfühlend.
    »Wissen Sie«, fuhr der Moldawier fort, »es kommen des Öfteren junge Vampire hierher, die mit unserem Arbeitgeber Gespräche führen. Ich habe draußen vor der Tür zu wachen für den Fall, dass der Chef klingelt. Da hört man so manches. So kann ich mir ein Bild machen davon, was für Vorstellungen in der Welt heutzutage herrschen. Für gewöhnlich mische ich mich da nicht ein. Aber heute ging es um Gott. Und hier fühle ich mich als Theologe berufen, zu dem, was Sie gesagt bekamen, eine nicht unmaßgebliche Ergänzung zu liefern. Ich möchte Sie nur bitten, vor dem Chef nichts darüber verlauten zu lassen. Überhaupt: bis zum nächsten Kontrollbiss zu niemandem ein Wort! Bis dahin bin ich in Urlaub gefahren. Können Sie mir das versprechen?«
    »Sie scheinen mit unseren Gepflogenheiten im Detail vertraut zu sein«,

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