Das fuenfte Imperium
dass sie sich nicht so leicht wiederholen ließ. Um neuerlich Gott zu werden, brauchte es Bablos.
Hieraus ergab sich die logische Frage: War ich wirklich Gott, wenn meine Empfindungen und Erfahrungen von einem Umstand abhingen, der außerhalb von mir lag? Jeder Theologe hätte dies bestritten. Mit wem dann aber, wenn nicht mit mir, würde ich im Falle höherer Gewalt das Vergnügen haben?
Mir wurde bang und unbehaglich. Nervös begann ich durch die Wohnung zu tigern, musterte die vertrauten Dinge um mich her in der Hoffnung, eines könnte mir ein geheimes Zeichen oder meinen Gedanken eine neue Richtung geben: die schwarz-weiße Fledermaus, Napoleon zu Pferde, zwei angewiderte Nymphetten ... Falls einer meiner Penaten die Antwort wusste, hielt er sich jedenfalls bedeckt.
Mein chaotisches Herumgerenne führte mich bis vor das Archiv. Ich setzte mich auf das Sofa und blätterte im Katalog. Nichts Brauchbares fiel mir ins Auge. Schließlich erinnerte ich mich, dass in der Schublade des Sekretärs ein paar unregistrierte Kostproben aus dem Literaturzyklus herumlagen. Ich schaute nach, nahm jedes Gläschen einzeln in die Hand - vielleicht fand sich ja etwas Theologisches darunter. Aber auch hier nichts, was der Erhabenheit des Moments entsprochen hätte: Präparate wie Tjuttschew + alban, source code oder Babel + 2% Marquis de Sade interessierten mich wenig.
Plötzlich aber kam ich darauf, mit wem ich meine Frage erörtern konnte.
Ich trat zum Fenster und schaute nach unten. Mein Auto stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Hinter der heruntergelassenen Scheibe saß Iwan mit konzentriert beleidigtem Gesicht und las einen seiner sogenannten ironischen Krimis. (Vor ein paar Tagen hatte ich ihn gefragt, worin die Ironie bestünde, seither war er noch beleidigter.) Ich zog das Telefon aus der Tasche. Nach ein paar Sekunden hatte die Funkwelle ihr Opfer gefunden - Iwan hob den Kopf, und ich hörte seine Stimme:
»Guten Tag, Chef.«
»Ich muss noch mal zu Osiris«, sagte ich. »In zehn Minuten. Ich zieh mich nur schnell um und trink den Kaffee aus.«
Bei Osiris war alles wie beim vorigen Mal. Türöffner war erneut der schnauzbärtige Moldawier, der allerdings in der Zwischenzeit stark abgemagert war, eine geradezu wächserne Farbe angenommen hatte. Die Kartenspieler im großen Zimmer übersahen mich geflissentlich.
Meinen Bericht von der Zeremonie hörte sich Osiris mit der Herablassung des alten Psychonauten an, dem der Nachbarsjunge seine erste Erfahrung mit einer aus dem Aschenbecher geklauten Kippe schildert.
»War das nun Gott«, fragte ich, »was ich da gespürt habe?«
»Es wird gemeinhin angenommen«, erwiderte Osiris, »doch in Wirklichkeit weiß es keiner. Vielleicht Gott, vielleicht auch nur der Saum seines Mantels. Schleppenschauder hat man es im Altertum genannt. Die Vampire wussten nicht, wie sie sich das Phänomen erklären sollten, bis die Menschen dann Gott erfanden.«
»Erfanden die Menschen Gott oder entdeckten sie, dass es ihn gibt?«
»Das ist doch dasselbe.«
»Wieso dasselbe?«
Osiris seufzte.
Was folgte, war ein Schwall neuer Erläuterungen des schon Bekannten, beginnend bei der Bablosdestillation im Affenschädel über Gott als die neue Sekundärfraktion bis hin, zum Beweis der Spiegelthese in der Heiligen Schrift ... Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Allmählich begann ich mich in der Holzhammerlogik meines Gesprächspartners zurechtzufinden. Ich musste meine Frage anders stellen. Direkter.
»Sagen Sie ... diese Lehre, die Sie mir da zu verklickern versuchen ... Ist sie wahr?«
Osiris räusperte sich verdutzt.
»Du hast mich nach der Überlieferung der Vampire gefragt. Ich habe dir diese Überlieferung dargelegt. Wahrheit -das ist eine ganz andere Frage.«
»Und die stelle ich gerade. Ist diese Überlieferung wahr?«
Osiris bedachte mich mit einem langen Blick.
»Siehst du, Rama«, sagte er, »solange du jung bist, produziert dein Organismus alle notwendigen Hormone, und auch bei den Rezeptoren für das Gehirn ist alles im grünen Bereich. In dieser Phase wird jedes Zwei-mal-zwei-ist-Vier eine leuchtende Aureole der Wahrheit um sich haben. Doch dieses Leuchten ist nichts als eine Widerspiegelung deiner Vitalität. So wie zum Beispiel auch die Musik. In der Jugendzeit gibt es jede Menge gute Musik, später kommt nichts Gescheites mehr hinzu. Jeder, der ein bisschen älter wird, denkt so. Oder nimm die Frauen. In deiner Jugend erscheinen sie dir wer weiß
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