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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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war.
    Die nachfolgenden Unterrichtsstunden liefen allerdings vollkommen anders ab.
    Gesprochen wurde kaum - nur ganz selten bekam ich von den Lehrern etwas diktiert. Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit packten sie Plastikgestelle auf den Tisch, von denen eins wie das andere aussah, nämlich wie zur Ausrüstung eines DNA-Testlabors gehörig. In den Gestellen waren kurze Reagenzgläschen mit schwarzen Gummistöpseln aufgereiht. In jedem befand sich eine geringe Menge transparenter Flüssigkeit; an die länglichen Stöpsel waren Papierstreifen mit Nummern und Buchstaben geklebt.
    Präparate!
    Der Unterricht folgte einer einfachen Methode. Ich ließ mir jeweils zwei, drei Tropfen aus einem Gläschen auf die Zunge rinnen und schluckte sie mit einer klaren, leicht bitteren Flüssigkeit, die Fixierer genannt wurde. Daraufhin erstanden in meinem Gedächtnis ganze Massive zuvor nicht vorhandenen Wissens - ein geistiges Polarglühen, Informationsleuchtfeuer. Das war nicht anders als bei meiner allerersten Verkostung - nur mit dem Unterschied, dass dieses Wissen sich nicht wieder verflüchtigte, wenn die Wirkung des Präparats abklang. Zu verdanken war dies dem Fixierer, einer komplizierten, auf die Gehirnchemie Einfluss nehmenden Substanz. Bei Anwendung über einen längeren Zeitraum war er gesundheitsschädlich, darum musste der Unterricht so kurz wie möglich sein.
    Die zu verkostenden Präparate waren Cocktails - raffinierte Kombinationen aus der roten Flüssigkeit einer Vielzahl von Leuten, deren Schatten sich in meiner Wahrnehmung übereinanderlegten und einen schemenhaften Chor zum jeweiligen Thema ergaben. Neben dem reinen Wissensstoff wurde ich auch mit Details ihrer Biographie abgefüllt, die oftmals lästig und öde waren. Die gelüfteten Geheimnisse weckten keine Neugier in mir, im Gegenteil.
    Mit der Art und Weise, wie ein normaler Student ein Kapitel aus einem Buch oder eine Vorlesungsmitschrift paukt, hatte die Form des Wissenserwerbs aus den Präparaten nicht viel zu tun. Die Quelle, aus der ich mich versorgte, glich einem Endlosfernsehprogramm, wo Schulsendungen sich abwechseln mit Seifenopern, Familienphotoalben und schlechten Amateurpornos. Wenn man sich andererseits vor Augen hielt, dass ein normaler Student die nützliche Information von sich aus ganz ähnlich garniert, durfte meine Ausbildung als vollwertig gelten.
    Eigentlich machte das geschluckte Wissen mich nicht klüger. Doch wenn ich nun über irgendetwas nachdachte, kamen die neuen Informationen unversehens aus dem Gedächtnis gesprungen, die Gedanken gingen andere Wege, trugen mich an Orte, die ich mir tags zuvor nicht hätte vorstellen können. Am besten scheint mir diese Erfahrung durch ein altes sowjetisches Lied wiedergegeben, das ich in der Blüte meiner Jugend gehört hatte (darin seien Breschnews Memoiren vertont, hatte Mama damals gewitzelt):
Heute will ich vor der Sonne
aufstehn, Über weite Stoppelfelder
laufen ... Mein Gedächtnis spielt mir böse
Streiche: Alles, was nicht mir passiert ist,
weiß ich ...
    Zuerst wurde mir himmelangst dabei. Begriffe, von Kindesbeinen an vertraut, erblühten in völlig neuen Bedeutungen, die ich nicht gekannt und über die ich nie nachgedacht hatte. Es geschah ganz plötzlich - wie jene Kettenreaktionen im Bewusstsein, wenn ein zufälliges Erlebnis einen vergessenen Traum aus dem Gedächtnis heraufholt, der alles um einen her in anderem Licht erscheinen lässt. Soviel ich wusste, waren die Symptome der Schizophrenie auch nicht viel anders.
    Doch da die Welt von Tag zu Tag interessanter wurde, verlor ich schon bald alle Furcht, begann die Veränderungen gar zu genießen.
    Einmal fuhr ich beispielsweise mit dem Taxi die Warschawskoje entlang und sah an einer Fassade zwei Bären prangen mit dem Schriftband Einiges Russland darüber. Und augenblicklich kam mir in den Sinn, dass das russische Wort für Bär - medwed - nicht immer sein richtiger Name war, sondern ursprünglich nur eine Umschreibung mit der Bedeutung: der den Honig isst. Die alten Slawen nannten ihn so, weil sie fürchteten, er könnte sich eingeladen fühlen, wenn man ihn bei seinem wahren Namen nennt. Aber wie lautet dieser Name? fragte ich mich und wusste im selben Moment die Antwort: Ich entnahm sie dem russischen Wort für Bärenhöhle, berloga - der Ort, wo ... der Bär liegt. Bär! Genau wie die weniger abergläubischen Deutschen und Engländer dieses Tier nennen. Und wieder verknüpfte mein Gedächtnis das Wort schlagartig mit einer ihm

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