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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Seither kamen mir die vielen Chodorkowski-Photos hinter Gittern immer wie eine Patek-Philippe-Werbung vor - die nackten Handgelenke des eingesperrten Oligarchen sprachen eine beredte Sprache. Aber eine Patek Philippe schien mir für diese Aktion doch zu groß. Das Chronometer wäre vielleicht noch reingegangen, aber dieses klotzige Armband ...
    Kurz: In die denkende Elite des Landes vorzustoßen war mir nicht gelungen. Und natürlich tröstete ich mich wie alle Loser mit dem Gedanken, dass ich dorthin gar nicht wollte.

JEHOVA
    Während Baldur die Klärung jeder Frage so gezielt anging, dass sich der Kern der Sache gar nicht verfehlen ließ, besaß Jehova einen anderen Vorzug: Er konnte in wenigen Worten ganze Bedeutungsfelder umreißen, Leuchttürme setzen im schwierigen Labyrinth der Begriffe. Häufig bediente er sich dabei überraschender Vergleiche.
    »Wenn du wissen willst, was das ist: die menschliche Kultur«, sagte er einmal, »dann erinnere dich an die Ureinwohner Polynesiens. Dort gibt es Stämme, die die Technik des weißen Mannes anbeten. Insbesondere Flugzeuge, die über den Himmel geflogen kommen mit allerlei schönen und leckeren Dingen an Bord. Cargo-Kult nennt sich dieser Glaube. Die Aborigines bauen rituelle Flughäfen, um damit sozusagen die Coca-Cola vom Himmel zu locken ...«
    Mein Kopf funktionierte wieder einmal nach dem Motto »Alles, was nicht mir passiert ist, weiß ich.«
    »Nein, das ist Unsinn«, sagte ich. »Das haben die Aborigines den amerikanischen Anthropologen bloß weisgemacht, damit sie schneller wieder gehen. Und dass Aborigines noch andere Wünsche haben könnten, hielten die Anthropologen sowieso nicht für möglich. Nein, der spirituelle Kern des Cargo-Kultes liegt tiefer. Die Bewohner Melanesiens waren von den Heldentaten der Kamikaze-Flieger so beeindruckt, dass sie diese rituellen Flughäfen errichteten, um die Seelen der Piloten zur Wiedergeburt auf ihrer schönen Insel einzuladen -für den Fall, dass es im Yasukuni-Schrein zu eng wird.«
    »Interessant«, sagte Jehova. »Das ist mir neu. Aber es ändert nichts an den Tatsachen. Die Ureinwohner bauen nicht bloß Start- und Landebahnen nach, sie bauen auch Flugzeugreliefs aus Erde, Sand und Stroh, vielleicht, damit die Seelen der Kamikaze eine Behausung haben. Diese Flugzeuge sind mitunter sehr beeindruckend. Sie haben bis zu zehn Turbinen, gebaut aus alten Büchsen und Eimern. Da gibt es Meisterwerke, künstlerisch gesehen. Doch diese Erdflieger fliegen nicht. Das Gleiche gilt für den menschlichen Diskurs. Ein Vampir darf ihn keinesfalls ernst nehmen.«
    Ich gab Baldur diese Unterhaltung wieder.
    »Soll das heißen, ich lerne hier Flugzeuge aus Sand und Stroh bauen?«, fragte ich.
    Baldur warf mir einen flammenden Blick zu.
    »Nicht nur das«, sagte er. »Du lernst auch noch, dabei schwul auszusehen. Damit alle denken, dieser Flugzeugbastler scheißt Geld, und dich noch mehr dafür hassen ... He, Rama, hast du schon wieder vergessen, wer du bist? Du bist ein Vampir!«
    Noch tagelang gingen mir Jehovas Worte nach, während ich im Internet ein paar Paradebeispiele einschlägiger Diskursverrenkungen studierte, darunter auch noch einmal das, was Papa über den Plebs und die kompetenten Eliten geschrieben hatte. Inzwischen konnte ich beinahe alles verstehen, Verweise, Anspielungen und kulturelle Referenzen inklusive. Und all das konnte noch so geistreich, subtil und gut geschrieben sein, Jehova behielt recht: Diese Flugzeuge waren nicht zum Fliegen bestimmt. Man fand viele kluge Worte darin, doch sie klimperten hohl und penetrant wie die aus dem Staub geklaubten europäischen Münzen in den Halsketten der Kannibalen.
    Dies notierte ich in mein Heft:
Der Moskauer Cargo-Diskurs unterscheidet sich vom polynesischen Cargo-Kult dadurch, dass er statt mit Bruchstücken fremder Flugtechnik mit Jargonanleihen in Schnipselform jongliert. Die terminologische Camouflage im Aufsatz eines sogenannten Sachverständigen erfüllt die gleiche Funktion wie die knallorangene Schwimmweste aus einer abgestürzten Boeing, wenn ein afrikanischer Kopfjäger sie trägt: Es ist nicht nur eine Art von Maskierung, es ist Kriegsbemalung. Eine ästhetische Projektion des Cargo-Diskurses ist dabei der Cargo-Glamour, der das nachwachsende Office-Prekariat nötigt, auf Vollwertnahrung zu verzichten, um stattdessen eine teure Business-Uniform zu erwerben.
    Als ich Jehova diesen Eintrag stolz präsentierte, tippte er nur den Finger an die Schläfe und sagte:

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