Das fuenfte Imperium
»Rama, du hast das Wichtigste noch nicht verstanden. Du scheinst zu glauben, der Moskauer Cargo-Diskurs stünde dem New Yorker oder Pariser irgendwie nach, und darin läge das Problem. Aber das ist es nicht. Jede menschliche Kultur ist Cargo-Kultur. Die Erdflugzeuge des einen Stammes können nicht besser sein als die des anderen.«
»Wieso können sie das nicht?«
»Weil Erdflugzeuge keiner Vergleichsanalyse standhalten. Sie fliegen nicht, sie haben keine technischen Parameter, die man nebeneinanderhalten könnte. Sie haben nur diese eine magische Funktion. Und die hängt nicht von der Anzahl Blecheimer unter den Flügeln und deren Farbe ab.«
»Aber wenn es, wie Sie sagen, gar nichts anderes als diese Erdflugzeuge gibt, was nehmen die Leute dann als Vorlage?«, fragte ich. »Damit ein Cargo-Kult entsteht, muss doch wenigstens einmal ein richtiges Flugzeug am Himmel vorbeigekommen sein, oder nicht?«
»Nicht am Himmel«, erwiderte Jehova. »Es flog durch den menschlichen Geist. Als Große Fledermaus.«
»Sie meinen die Vampire?«
»Jawohl. Aber dieses Thema zu diskutieren ist vorerst zwecklos. Dafür bist du noch zu ungebildet.«
»Eine Frage noch«, legte ich nach. »Sie sagen, die ganze menschliche Kultur sei ein Cargo-Kult. Was ist es denn, was die Menschen da basteln, wenn keine Erdflugzeuge?«
»Städte.«
»Städte?«
»Na ja. Und alles Übrige.«
Ich versuchte mit Baldur darüber zu reden, doch auch der verweigerte sich der Diskussion.
»Das hat noch Zeit«, sagte er. »Du musst nichts übereilen. Der Erwerb von Wissen setzt eine bestimmte Abfolge voraus. Was wir heute behandeln, wird Fundament sein für das, was du morgen erfährst. Man kann ein Haus nicht vom Dachboden her bauen.«
Dagegen ließ sich nichts sagen.
Noch eine soziale Fertigkeit, die ich mir anzueignen hatte, war die Vampspiritualität. (Jehova sprach auch hier wahlweise von Metrospiritualität, woraus ich schloss, es könnte ungefähr dasselbe sein.) Mein Lehrer definierte sie als »Geltungskonsum im spirituellen Bereich«. In praktischer Hinsicht ging es bei der Vampspiritualität darum, den Zugang zu den alten geistigen Traditionen zu demonstrieren - und zwar dort, wo sie am exklusivsten waren: Photosessions mit dem Dalai Lama gehörten ebenso ins Programm wie dokumentarisch verbriefte Begegnungen mit Sufi-Scheichs und Latino-Schamanen, nächtliche Hubschraubervisiten auf Athos usw.
»Läuft es da etwa genauso?«, war meine missmutige und zugegeben etwas unscharf formulierte Frage.
»Hier wie immer und überall«, bestätigte Jehova. »Sieh doch mal genau hin, was bei der menschlichen Kommunikation vor sich geht. Warum macht ein Mensch den Mund auf?«
Ich zuckte die Achseln. Also gab Jehova die Erläuterung.
»Vor allem will der Mensch seinen Mitmenschen nahebringen, er sei weit prestigeträchtigerer Konsumformen teilhaftig, als diese von ihm glauben. Wie er auch umgekehrt den Anwesenden klarzumachen versucht, dass ihre Konsumformen weit weniger Geltung genießen, als sie in ihrer Naivität zu glauben geneigt sind. Diesem Sinn und Zweck sind alle sozialen Manöver untergeordnet. Ja, es sind einzig diese Fragen, die bei Menschen handfeste Emotionen hervorrufen können.«
»Mir scheint, ich bin in meinem Leben auch schon anderen Menschen begegnet«, sagte ich mit milder Ironie.
Jehova schenkte mir einen langen, sanftmütigen Blick.
»Schau, Rama«, sagte er, »jetzt gerade wieder bist du dabei, mir den Gedanken zu suggerieren, deine Konsumformen wären den meinen an Geltung überlegen, und meine wären, wie man heutzutage sagt, ein Griff ins Klo. Es geht in der Kommunikation von Menschen einzig und allein um Konsum. Von dieser Regung der menschlichen Seele spreche ich. Anderes ist bei Menschen nicht anzutreffen, da kannst du lange suchen. Nur die konkret angesprochene Konsumform wechselt. Mal sind es Dinge, mal Erlebnisse, Kulturtatsachen, Bücher, Konzepte, Geisteszustände und so weiter.«
»Das ist ja ekelhaft«, sagte ich aufrichtig.
»Verachten sollte man den Menschen aber deswegen nicht«, sprach Jehova, den Zeigefinger hebend. »Das schreib dir hinter die Ohren. Eine Kuh nur deshalb auszulachen, weil sie so ein komisches fettes Euter zwischen den Beinen baumeln hat, ist für einen Vampir nicht minder schmählich als für einen Menschen. Wir haben ihn gezüchtet, Rama, also sollten wir ihn lieben und mit ihm fühlen. So wie er ist. Außer uns tut das sowieso keiner.«
»Gut«, sagte ich. »Und wie empfehlen Sie
Weitere Kostenlose Bücher