Das fuenfte Imperium
hinaufläuft.
»Wieso meint Baldur, Glamour wäre eine Ideologie?«, fragte ich bei Jehova nach.
»Eine Ideologie beschreibt einen nicht ersichtlichen Zweck, der die ersichtlichen Mittel heiligt«, erwiderte er. »Den Glamour darf man als Ideologie betrachten, da er eine Antwort ist auf die Frage: Wozu war das alles nötig?«
»Was alles?«
»Nimm ein Geschichtsbuch zur Hand und lies das Inhaltsverzeichnis.«
Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon Termini und Konzepte in ausreichender Zahl geschluckt, um das Gespräch auf passablem Niveau fortführen zu können.
»Wie ließe sich dann das zentrale Ideologen! des Glamours formulieren?«, fragte ich.
»Ganz einfach«, sagte Jehova. »Verkleidung!«
»Verkleidung?«
»Jawohl. Wenn man den Begriff etwas weiter fasst. Verkleidung meint auch den Umzug von der Kaschirka auf die Rubljowka und von da nach London, die Verpflanzung der Haut vom Gesäß ins Gesicht, den Geschlechtswandel und alles so etwas. Auch der ganze zeitgenössische Diskurs lässt sich als Verkleidung sehen - beziehungsweise als permanente Neuverpackung der paar Themen, die für die öffentliche Diskussion zugelassen sind. Darum sprechen wir davon, dass der Diskurs eine Spielart des Glamours ist, und ebenso umgekehrt. Kapiert?«
»Klingt nicht gerade romantisch«, sagte ich.
»Was dachtest denn du?«
»Ich dachte, Glamour verheißt Wunder. Sie sprachen selbst von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: Zauberei. Ist es nicht das, was man sich davon verspricht?«
»Glamour verheißt Wunder, so ist es«, sagte Jehova. »Und diese Verheißung maskiert den Umstand, dass das Leben ganz ohne Wunder vonstatten geht. Verkleidung und Maskerade sind mehr als nur Technologie, sie sind der einzige reale Inhalt - von Glamour ebenso wie von Diskurs.«
»Glamour kann die Verheißung des Wunders also unter keinen Umständen einlösen?«
Jehova dachte einen Moment nach.
»Doch, unter Umständen schon.«
»Welchen?«
»Na, zum Beispiel in der Literatur.«
Das erstaunte mich. Literatur hätte ich für die unglamouröseste Veranstaltung gehalten, die man sich vorstellen konnte. Und Wunder hatten dort, soviel ich wusste, schon seit Jahren nicht mehr stattgefunden.
»Der Schriftsteller von heute«, erklärte Jehova, »wenn er einen neuen Roman abschließt, verbringt ein paar Tage über einem Packen Hochglanzjournale und platziert in seinem Text eine Anzahl teurer Auto- und Krawattenmarken sowie Restaurants, was dem Buch einen gewissen High-Budget-Abglanz verleiht.«
Ich erzählte Baldur davon und sagte: »Jehova sieht darin ein Beispiel für ein Glamourwunder. Was ist daran wunderbar? Das ist doch eine triviale Maskerade.«
»Du hast noch nicht verstanden«, sagte Baldur. »Das Wunder vollzieht sich nicht am Text, sondern am Autor. Anstelle des Ingenieurs der menschlichen Seelen haben wir nun einen zum Nulltarif arbeitenden Werbeagenten.«
So ließ sich, dank der Methode wechselseitiger Befragung, beinahe jedes Problem klären. Nur manchmal führte sie zu noch größerer Konfusion. Einmal bat ich Jehova um eine Erläuterung des Begriffs Expertise , dem ich beinahe täglich im Internet begegnete, meist im Zusammenhang mit einem sogenannten Sachverständigenrat.
»Eine Expertise ist ein Gutachten. Genauer gesagt: ein Format neurolinguistischer Programmierung, das der anonymen Diktatur zu Diensten ist«, schnarrte Jehova seine Definition herunter.
»Na-a-a-ja«, brummte Baldur, als ich ihn um einen Kommentar dazu anging. »Klingt gut. Nur dass sich im realen Leben kaum unterscheiden lässt, wer wem die Füße küsst: das Gutachten der Diktatur oder die Diktatur dem Gutachter. «
»Wieso das?«
»Weil die Diktatur, selbst wenn sie anonym ist, konkretes Geld auf den Tisch legen muss. Und das einzige greifbare Ergebnis, das die neurolinguistische Programmierung bringt, ist das Honorar für den NLP-Coach.«
Am nächsten Tag bereute ich es bitter, die Frage nach den Expertisen gestellt zu haben. Jehova brachte ein komplett gefülltes Gestell der Kennung Sachverst.rat No. 1-18 mit zum Unterricht. Ich musste alle Proben verkosten. Hier der Eintrag, den ich in einer Pause zwischen den Gaben verfasste:
Jeder moderne Intellektuelle, der sein Gutachten auf dem Markt verkauft, tut zweierlei: Er sendet Zeichen, und er prostituiert Inhalte, ln Wirklichkeit sind dies zwei Aspekte eines einzigen Willensaktes, der die Tätigkeit eines modernen Philosophen, Kulturwissenschaftlers, »Sachverständigen« zur Gänze beschreibt:
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