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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Vampir wurde empfohlen, den Anschein zu erwecken, als wollte er seinem Opfer dezent etwas mitteilen. Vorsicht war angeraten: In der Nähe befindliche Personen sollten nicht denken, er kaute dem Opfer ein Ohr ab, flüsterte Anzüglichkeiten, schnupperte fremdes Parfüm und so weiter - so viele Hüter der öffentlichen Moral es gibt, so viele Möglichkeiten der Interpretation.
    All das stand mir bevor.
    Von dem Maler Dejneka gibt es ein Bild, welches Künftige Flieger betitelt ist: Drei Halbwüchsige sitzen am Meeresstrand und schauen versonnen in den Himmel, wo fern und verschwommen ein Flugzeug dahinfliegt. Hätte ich ein Bild Künftiger Vampir malen sollen, dann hätte es vielleicht so ausgesehen: bleicher Jüngling neben schwarzem Kaminloch im Sessel versunken, den starren Blick auf ein Fledermausphoto gerichtet.

DER ERSTE BISS
    Mitra rief an und wollte wissen, wie es so lief.
    »Normal«, erwiderte ich mürrisch. »Nur dass die Norm mir nicht sonderlich behagt.«
    »Oho, man spricht in Bildern«, sagte Mitra prustend. »Da kannst du mal sehen, welch interessante Konversationspartner die Zunge aus uns macht. Wie heißt es bei uns so schön? Die Zunge ist des Herzens Dolmetsch.«
    »Aha. Haben die Vampire denn noch mehr Sprichwörter?«
    »Na, zum Beispiel: Rote Flüssigkeit ist dicker als Wasser. Muss ich nicht näher erläutern, oder?«
    »Nein.«
    »Ich verstehe gar nicht, wieso du Trübsal bläst. Merkst du nicht, dass ein ganz anderes Geschöpf aus dir geworden ist? Ein viel gebildeteres, perfekteres? Intellektuell höherstehendes?«
    »Dieses Geschöpf hat eine Menge Fragen. Und keiner will darauf antworten.«
    »Warte nur, bald wirst du mehr wissen, als dir lieb ist. Alles zu seiner Zeit. Jetzt zum Beispiel ist eine Warnung fällig. Damit du keinen Schock erleidest.«
    »Was denn nun schon wieder?«, fragte ich beunruhigt.
    Mitra fing an zu lachen.
    »Den Schock hast du wohl schon ... Aber nein, pass auf: Demnächst wirst du zum ersten Mal einen Menschen beißen. Wann genau, weiß ich nicht - aber es kann nicht mehr lange dauern.«
    »Ich glaube nicht, dass ich das hinkriege«, sagte ich.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Mitra. »Deine Geige fängt von ganz alleine an zu spielen.«
    »Toller Vergleich.«
    »Und äußerst zutreffend. Weißt du noch, bei Gumiljow die schönen Zeilen ... doch du lachst, und deine Augen / strahlen, rufen freudig: ja! / Sei’s drum! Nimm die Geige! Spiel sie! / Sieh ins Aug dem Ungeheuer / Und stirb eines bittren Todes ...
    Mitra machte eine Kunstpause.
    »... lustig, heißa, hopsasa!«, ergänzte ich spontan. Das Präparat Pasternak+1/2Nabokov hatte sich aus meinem Organismus wohl noch nicht ganz verflüchtigt.
    »Du hast Angst vor dem Unbekannten, das ist alles«, sagte Mitra. »Das musst du nicht. Ein freudiges Ereignis in deinem Leben kündigt sich an. Das erste Mal, hach, das ist ... Das kann man sowieso nicht beschreiben. Aber du wirst dein Leben lang mit Freuden daran zurückdenken, glaub mir das.«
    »Was muss ich tun?«
    »Ich sage doch: gar nichts. Warte einfach ab. Deine Geistesgegenwart sagt dir von allein, wann es so weit ist.«
    Aufmunternd waren diese Geleitworte nicht gerade. Die alte japanische Sitte fiel mir ein, derzufolge ein Samurai, wenn er ein neues Schwert erworben hatte, des Nachts damit vor die Stadt gehen und dem ersten Entgegenkommenden den Kopf abschlagen musste. Ich hatte das quälende Gefühl, dass mir etwas Ähnliches auferlegt war. Doch die Zunge verhielt sich still und ungerührt. Diese in sich ruhende Schwere im Zentrum meiner Seele hatte etwas Linderndes, wie eine Packung Eis an der schmerzenden Stirn. »Zentrum meiner Seele«, der Ausdruck klingt obskur, ich weiß. Eine Seele hat bekanntlich kein Zentrum. Normalerweise jedenfalls nicht. Meine hatte eins.
    Die Sache nahm dann einen ganz anderen Verlauf als erwartet. Meine erste Vampirerfahrung hatte weniger mit Thanatos zu tun als mit seinem langjährigen Partner Eros. Angenehm war es trotzdem nicht, was mir da widerfuhr.
    Eines Tages gleich nach dem Unterricht bei Baldur schlummerte ich ein. Erwachte Stunden später und hatte plötzlich Lust spazieren zu gehen. Zog meine Jeans an, das schwarze Shirt mit einem von den Simpsons darauf (so gekleidet war ich früher zur Arbeit in den Supermarkt gegangen) und verließ die Wohnung.
    Die Stadt leuchtete in der Abendsonne. Ich lief durch die Straßen und verspürte eine rätselhafte Unruhe, etwas fehlte mir. Eine Zigarette vielleicht - obwohl ich

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