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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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vor, sondern eine rote Schachtel, ähnlich dem Etui eines teuren Füllfederhalters. Darin lag jedoch ein ganz normales Röhrchen, nur dass der Pfropfen rot war. Meine Spannung stieg.
    Ich wartete bis zum Abend und wagte die Verkostung.
    Die Antwort auf meine eigentliche Frage bekam ich zwar nicht, erfuhr aber eine Menge Wissenswertes auf anderem Gebiet.
    Endlich wusste ich nun, warum die Bisse von Brahma und Enlil Maratowitsch nicht zu spüren gewesen waren. Bislang hatte ich angenommen, es läge an einem in die Wunde gesprühten Betäubungsmittel, wie das bei manchen großen Blutsaugern in den Tropen geschieht. Doch das war ein Irrtum.
    Vielmehr baut sich zwischen Beißer und Gebissenem augenblicklich ein psychischer Kontakt auf, analog dem Täter-Opfer-Schema im sadomasochistischen Tandem. Das Opfer nimmt den Vorgang praktisch gar nicht wahr. Zwar registriert der Körper den Biss, »versteht«, was vor sich geht - jedoch nicht auf der Persönlichkeitsebene, sondern sozusagen ein Stockwerk tiefer, in der Kontakt- und Valenzzone des Bauchhirns. Höher kann das Signal nicht gelangen, weil das Opfer zugleich mit dem Biss gewissermaßen eine kräftige Ohrfeige bekommt, die es in eine kurzzeitige Schockstarre versetzt und alle Standardreaktionen blockiert.
    Die Funktion dieser Ohrfeige übernimmt ein spezieller, von der Zunge ausgehender psychischer Befehl. Bei den Vampiren heißt er: der Schrei der Großen Maus. Seine genaue Beschaffenheit ist unklar, jedenfalls handelt es sich um keinen physischen Laut. Dieser Befehl ist viele Millionen Jahre alt; seine Macht ist so zwingend, dass selbst der größte Dinosaurier sich augenblicklich unterordnete.
    Der fremde Wille wird hierbei nicht gewaltsam gebrochen. Eher handelt es sich um einen eigentümlichen biologischen Pakt, der sich in Millionen von Jahren herausgebildet hat: Das Tier gab gehorsam von seinem Blut ab, und sein Leben wurde verschont. Der Schrei der Großen Maus gehört somit in eine ganz andere Erdepoche, doch die Urzonen des Gehirns halten den damit verbundenen Schrecken immer noch gespeichert.
    Leider war die Probe aus dem roten Etui sorgfältig von allen Informationen darüber gesäubert, wer den Befehl im Altertum bei welcher Gelegenheit zum Einsatz brachte. Dafür klärten sich einige wissenschaftliche Details. Beispielsweise erfuhr ich, dass der Befehl in den höhergelegenen psychischen Zentren nicht registriert wird, weil der betreffende Prozess nur ganze 350 Millisekunden dauert, also die Schwellzeit unterschreitet, ab der Menschen und andere große Tiere Ereignisse bewusst wahrnehmen können. Daher bleibt im Gedächtnis des Gebissenen nichts haften - und falls doch, wüsste das Hirn unverzüglich mit Verdrängung zu reagieren.
    Was empfinden die Menschen also während des Bisses? Die Reaktionen unterscheiden sich geringfügig: von unbestimmbarer Sehnsucht über böse Vorahnung bis hin zu akuten Schwächeanfällen. Man wird gepeinigt von unangenehmen Gedanken. Verstorbene Verwandte fallen einem ein, überzogene Kredite und versäumte Fußballreportagen - der Verstand des Opfers maskiert die Vorgänge selbst auf alle nur denkbare Weise. Vermutlich ist das der ungewöhnlichste aller von der Evolution erfundenen Schutzmechanismen.
    Außerdem kam ich hinter das Geheimnis meiner neuen Eckzähne. In Form und Größe waren sie, wie gesagt, ganz normal, nur etwas heller als meine ureigenen. Wie sich herausstellte, ist es nicht eigentlich der Zahnkörper, der die Haut des Opfers ritzt, sondern eine aus ihm kommende elektrische Entladung. Wie der Funken in einem Piezofeuerzeug. Die Elektrodrüsen sind am Gaumen des Vampirs, längs des Zweithirns, gelegen, also da, wo sich früher die Mandeln befunden haben. Infolge der Entladung entsteht über der Wunde eine kleine Vakuumzone, so dass ein paar Blutstropfen herausgesogen werden. Der Biss wird von einem praktisch nicht wahrnehmbaren Zucken des Kopfes begleitet - so kann der Vampir die Blutstropfen im Flug auffangen und mit der Zunge gegen den Gaumen drücken; die Verkostung beginnt. Im Idealfall bleiben auf der Haut des Gebissenen keine Spuren zurück oder höchstens ein, zwei mikroskopische Tröpfchen der roten Flüssigkeit; dass ein Biss zu einer regelrechten Blutung führte, ist noch nie vorgekommen. Das Opfer nimmt keinerlei Schaden.
    Außer diesen Informationen enthielt das Präparat noch ein paar Richtlinien zum Thema »Wie verhalte ich mich beim Beißen?«. Es handelte sich um Ratschläge taktischer Art.
    Dem

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