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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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so, um ein bestimmtes Informationsspektrum zu separieren. Die menschliche Erfahrung im Ganzen ist schädlich und destruktiv. Und hochdosiert sogar tödlich. Was meinst du, weshalb die Menschen sterben wie Fliegen? Aufgrund ihrer Lebenserfahrung!«
    »Und wieso muss ich diese Erfahrung im Unterricht eimerweise schlucken?«
    »Das ist etwas anderes. Dir werden ungereinigte Präparate verabreicht, damit du sozusagen Ballaststoffe gewinnst.«
    »Wozu brauche ich die?«
    »Ein Schiff ohne Ballast kentert und sinkt. Leitet man hingegen eine bestimmte Menge Wasser ein - von dem, was sich jenseits der Bordwand befindet -, gewinnt es an Stabilität. Du musst für jede Art Erlebnis gewappnet sein. Das ist wie eine Impfung. Unangenehm natürlich, aber nicht zu umgehen. Es gehört zum Ausbildungsprogramm eines jeden angehenden Vampirs.«
    Auch ohne ausdrückliches Verbot hätte ich von weiteren Bibliotheksexperimenten Abstand genommen. Mitra hatte recht: Während der Vormittagsstunden waren Proben zuhauf zu verkosten; damit in der Freizeit fortzufahren wäre pathologisch gewesen.
    Eine Frage aber brannte mir auf den Nägeln.
    Enlil Maratowitschs Ausführungen hatte ich entnommen, dass die Menschen in den Augen der Vampire so etwas wie Milchvieh sind: gezüchtet, um als Nahrungsquelle zu dienen. Das zu glauben fiel mir schwer - und nicht nur, weil die Menschheit dabei so jämmerlich wegkam.
    Vor allem hatte ich den »MelkVorgang« noch nirgends beobachtet. Der Biss, mit Hilfe dessen der Vampir sich Zugang zu einer fremden Innenwelt verschaffte, konnte es nicht sein. Er war eine Blutanalyse, gewiss keine Nahrungsaufnahme. Es musste also noch ein anderes Verfahren geben.
    Ich versuchte mir den Vorgang bildlich vorzustellen. Vielleicht, dass Vampire die zu medizinischen Zwecken gespendete rote Flüssigkeit tranken? Oder existierten etwa irgendwo in der Dritten Welt Plantagen, wo Menschen regelrecht »aufgezogen« wurden?
    In der Trivialkultur wurde über solche Themen des Öfteren spekuliert. Ich erinnerte mich an den Film Die Insel , wo naivinfantile Menschen zur Ersatzteilgewinnung in unterirdischen Höhlen gehalten werden. In weißen Jogginganzügen wandeln sie über sterile Korridore und hoffen darauf, irgendwann im Leben das große Los zu ziehen ... Und in Blade: Trinity sieht man eine Fabrik mit vakuumverpackten Komaleichen; sie produzieren rote Flüssigkeit, die zur Tränkung von Vampiren dient, und müssen dazu gar nicht bei Bewusstsein sein.
    War das etwa die Wirklichkeit?
    Und noch ein Rätsel gab es. Vampire nahmen gewöhnliche Menschennahrung zu sich. Mehrmals schon hatte ich mit Baldur und Jehova nach dem Unterricht zu Mittag gespeist - was durchaus kein gothic event war. Wir gingen in ein Mittelklasserestaurant am Sadowoje Kolzo und aßen Sushi. Alles lief sehr menschlich ab. Nur einmal, Jehova hatte sich einen frischgepressten Tomatensaft bestellt, zuckte sein großer Adamsapfel beim Leeren des Glases auf so abstoßende Weise, dass ich mich in dem Moment ernsthaft fragte, ob ich das Zeug zum Vampir hatte. Ansonsten taten Baldur und Jehova in meiner Gegenwart nichts, was an Blutsaugen gemahnte oder auch nur darauf anspielte.
    Vielleicht wurde die rote Flüssigkeit ja nur an bestimmten, rituell festgelegten Tagen konsumiert?
    Ich versuchte, Baldur und Jehova über die Entnahmetechnologie auszufragen, erhielt aber jedesmal die Antwort, die ich schon von Enlil Maratowitsch kannte: Darüber reden wir später, alles zu seiner Zeit, warte erst mal den Großen Sündenfall ab ...
    Ich musste vermuten, dass eine besondere Initiation auf mich wartete, nach der erst die Vampire mich als ihresgleichen akzeptieren und in ihre düsteren Geheimnisse einweihen würden. Aber dann, dachte ich, und meine Fäuste ballten sich unwillkürlich - dann schreiten wir gemeinsam zur Tat ... Und ich würde womöglich meinen Spaß daran haben. Pfui Teufel!
    Koteletts waren mir übrigens als Kind genauso widerwärtig vorgekommen. Doch irgendwann hatte man mich an sie gewöhnt.
    Mir blieb noch die Hoffnung, im Archiv Antwort auf meine Fragen zu finden. Ich blätterte also noch einmal im Katalog und stieß tatsächlich auf ein interessantes Detail.
    Auf der vorletzten Seite fand sich ein merkwürdiger Eintrag. Ein Kasten enthielt nur ein einziges Präparat mit der skurrilen Bezeichnung Geschichte: Bissstütze und Mausbefehl.
    Der betreffende Schub befand sich ganz oben unter der Decke. Ich zog ihn auf und fand keines der üblichen Reagenzglasgestelle

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