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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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erinnerte in seiner Form an ein platt gedrücktes Herz - wie man es in Comics gezeichnet findet. Oder, dachte ich fatalistisch, an den Palmwedelfächer über meinem Kinderbett... Das Loch war allseits von einem hohen, blickdichten Zaun umgeben, den ich schon von Weitem bemerkt hatte. Jetzt erkannte ich, dass Zaunabschnitte verschiedener Höhe und verschiedenen Materials ineinander übergingen - zusammen ergaben sie ein lückenloses Bollwerk. Auf dem Landweg war kein Herankommen an das Loch.
    »Achtung!«, kommandierte Mitra. »Mach es wie ich!«
    Er krümmte die Flügel und näherte sich im Sturzflug dem Rand des Netzes, wobei er so weit abbremste, dass er zuletzt beinahe in der Luft stand; dann tauchte er mit einer eleganten Drehung unter das Netz. Ich folgte ihm - und plumpste, haarscharf an der krautigen Kante vorbeisegelnd, in den Abgrund.
    Hier war es kühl. Nackte Felswände, nur hie und da kleine Inseln aus Gras und Gesträuch. Es roch nach Weihrauch oder etwas Ähnlichem. Ich spürte eine Menge Spalten und Klüfte in den Wänden, konnte sie aber nicht sehen. Zu sehen war nur ein einsames Licht am Fels.
    »Siehst du die Lampe?«, fragte Mitra. »Da musst du hin.«
    »Finde ich das allein?«
    »Es ist nicht zu verfehlen. Und außerdem bist du nicht mehr allein.«
    Ich wollte ihn fragen, worauf er anspielte, doch er war schon auf dem Rückweg hinauf. Sekunden später gewahrte ich, dass noch ein Vampir sich im Schacht befand. Er war Mitra am Grubenrand begegnet und nun auf dem Weg herab.
    Ich sollte mich mit der Landung beeilen! dachte ich, zu zweien könnte es eng werden, da hat schon einer allein seine
    Mühe. Derweil verfuhr ich wie ein Schwimmer im Bassin: flog zur einen Wand, wendete und flog zur anderen, wodurch ich im Zickzack immer tiefer kam.
    Bald war ich auf der Höhe der Lichtquelle angelangt. Sie lag hinter einem halbkreisförmigen Felsbogen verborgen. Davor eine kleine Terrasse, auf die das gelbe elektrische Licht fiel. Hier war offenbar die Landung vorgesehen.
    Während ich ein paarmal von einer Seite des Schachtes zur anderen pendelte, überlegte ich, wie das anzustellen war. Die Flügel des anderen Vampirs rauschten bereits wenige Meter über mir, eine Kollision war ernsthaft zu befürchten. Ich musste handeln und beschloss meinem Instinkt zu vertrauen.
    Den Moment abpassend, da ich das nächste Mal die Terrasse überflog, bremste ich heftig, beinahe bis zum völligen Stillstand, ballte die Flügel zackig zur Faust und fiel auf die verhornten Knöchel. Alles in allem eine geschickte Landung, wenn auch etwas pathetisch wirkend: wie ein Kniefall vorm Altar. Wenig später landete neben mir rauschend Vampir Nummer zwei. Ich drehte den Kopf, konnte aber nur eine dunkle Silhouette erkennen.
    Es war düster, still und feucht. Vor uns der in den Fels gehauene Baldachin. Dahinter brannte eine schwache Glühbirne in einem Schirm aus gelbem Glas, der aussah wie eine kreuzweise aufgeschlitzte Apfelsine. Die Finsternis wurde von ihr eher betont als zerstreut. Unterhalb der Lampe befand sich eine Tür von gleichem Grau wie der Fels; ich entdeckte sie erst, als sie sich sachte nach innen öffnete.
    Schließlich stand sie offen, ohne dass im Türspalt irgendwer erschien. Einige Sekunden schwankte ich, ob eintreten oder eine Aufforderung abwarten. Dann erinnerte ich mich der Begrüßungsformel, die mir aufgetragen worden war. Wahrscheinlich war dies der rechte Zeitpunkt dafür. Ich rekapitulierte sie noch einmal im Stillen, um keinen Fehler zu machen, dann sprach ich laut:
    »Rama II. ist in Heartland gelandet!«
    Ich hörte mich den Satz mit meiner normalen Menschenstimme rufen. Schaute auf meine Hände - und sah gewöhnliche Menschenfäuste, gegen den Felsboden gestemmt. Mein schickes Jackett hatte einen Dreiangel am Ärmel und war an den Ellbogen rußbeschmiert. Außerdem klaffte an meinem linken Handgelenk ein kleiner Riss. Ich erhob mich.
    »Hera VIII. ist in Heartland gelandet!«
    Ich drehte den Kopf. Neben mir stand das Mädchen vom Photo. Größer, als ich vermutet hatte. Schlank, schwarze Hosen, dunkles Shirt. Auf dem Kopf der explodierende Haarschober, den ich schon kannte.
    »Nun denn«, tönte die Stimme Enlil Maratowitschs aus dem Dunkel, »wenn ihr schon mal da seid: herzlich willkommen in meinem bescheidenen Hamlet, Kinder!«
    Und in dem Raum hinter der Tür ging das Licht an.

GEIST B
    Von einer Bockleiter abgesehen, gab es in Enlil Maratowitschs Hamletklause keine Möbel. Die Einrichtung war

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