Das fuenfte Imperium
Gardinen - ich bekam das Gefühl, als ginge mit der Welt Seltsames vor sich.
Sie glich auf einmal einem verwunschenen Reich. Schwer zu sagen, wieso (zumal ich nie in einem solchen gewesen war, es nur aus dem Märchen kannte, daher auch nicht wissen konnte, wie es dort aussah). Doch alles, die Geometrie der alten Möbel, die Rhomben des Parketts, die Kaminverkleidung, passte ideal zu der Vorstellung, man befände sich in einem fremden Traum ... Es konnte freilich auch sein, dass ich mich nur deshalb in einem Traumreich wähnte, weil ich kurz davor war einzuschlafen.
Das fehlte noch, dass ich das wichtigste Ereignis in meinem Leben verschlief! Ich stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Dabei fragte ich mich, ob ich nicht bereits eingeschlafen war und nur davon träumte, durch das Zimmer zu laufen.
Von da an wurde es grausig.
Vielleicht war in dem Fläschchen Gift gewesen? Ich schlief nicht ein, ich war am Sterben, und was mir gerade widerfuhr, war das allmähliche Erlöschen von Restpotenzialen meiner Hirnstromkreise? Der Gedanke war unerträglich. Hätte ich geschlafen, wäre ich spätestens an dieser Stelle vor Schreck aufgewacht. Da der Schreck aber ziemlich flau war, konnte das andererseits nur heißen, dass ich doch schlief.
Oder bereits tot war.
Denn der Tod, so dachte ich, ist ja nur ein von Sekunde zu Sekunde tiefer werdender Schlaf, aus dem man schon nicht mehr da erwacht, wo man zuvor gewesen, sondern in anderer Dimension. Und wer wusste schon, wie lange solch ein Schlaf andauern konnte!
Womöglich war meine ganze Vampirkarriere nichts als der Tod, den ich so lange wie möglich vor mir selbst geheimhalten wollte? Und jenes »wichtige Ereignis«, das mich erwartete, war der Moment der bitteren Erkenntnis?
Ich suchte diesen Gedanken zu vertreiben, es gelang mir nicht. Im Gegenteil, ich fand immer mehr Bestätigungen für meinen furchtbaren Verdacht.
Zum Beispiel fiel mir nun wieder ein, dass Vampire zu allen Zeiten als wandelnde Tote gegolten hatten: Tagsüber lagen sie blau und kalt in ihren Särgen, nachts kamen sie hervor und wärmten sich an einem Schluck Blut ... Vielleicht musste man, um ein richtiger Vampir zu werden, erst einmal sterben? Und dieser wasserklare, von einem kristallenen Totenschädel behütete Tropfen war der Einlass in die neue Welt?
Sollte ich tatsächlich tot sein, so dachte ich weiter, dann wird sich dieses Grauen auswachsen ins Unermessliche. Zeit ist bekanntlich subjektiv. Die letzten chemischen Bewusstseinsblitze, gleich wie sie sich von innen ausnehmen, können sich über Millionen Jahre dehnen. Könnte es sein, dass alles und jedes auf diese Art endet? Dieses orangerote Abendflimmern, der Wind, der Kamin, das Parkett - und der ewige Tod ... Und die Menschen wissen nichts von dem Schrecken, weil noch keiner zurückkehrte, davon zu berichten.
»Libera me, Domine, de morte aeterna«, sang eine ferne Stimme. Kam dieser Verdi wirklich von oben? Oder verwandelte mein sterbendes Hirn die Selbsterkenntnis in Musik?
Ich begriff, dass ich, wenn ich mich nicht baldigst zusammenriss und aufwachte, ganz und gar in diesem schwarzen Brunnen versinken würde - und dann war es schon einerlei, ob ich schlief oder nicht, denn das Grauen, das sich da vor mir auftat, war bodenloser als aller Schlaf und alles Wachsein, als alles, was ich kannte. Und die Falle lag praktisch offen zutage. Eine simple Folge banaler Gedanken, und man steckte drin. Ein Rätsel, wieso nicht längst ausnahmslos alle Menschen sich in dieser Schlinge des Geistes verfangen hatten.
Ist das also nun der ewige Tod, fragte ich mich, von dem sie dort oben singen? ... Das darf nicht sein. Ich will hier raus, ganz gleich, um welchen Preis!
Ich musste die Erstarrung abstreifen. Den Albtraum wie eine Folie von mir abziehen - wie etwas Physisches, mit bloßen Händen ...
Aber meine Hände waren nicht mehr da.
An ihrer Stelle befanden sich schwielige dunkle Fäuste mit absonderlich großen, verhornten Knöcheln, wie höchstens fanatische Karatekämpfer sie haben. Und darüber anstatt der Arme schwarze Lappen, überzogen mit einem glänzenden kurzhaarigen Fell, wie ein Maulwurfspelz. Ich versuchte die Fäuste zu öffnen. Es ging nicht, etwas hinderte mich daran, so als wären die Finger straff mit Bandagen umwickelt. Ich verdoppelte meine Anstrengungen, und plötzlich sprangen die Fäuste auf - aber nicht zu normalen fünffingrigen Handtellern, sondern zu zwei schwarzen Schirmen. Ich schaute auf meine Finger und
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