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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sah: Ich hatte keine mehr.
    An ihrer Stelle waren lange Knochen, zwischen denen lederartige Hautsäcke hingen. Nur der Daumen war noch da, ragte wie der Knüppel einer Bordkanone aus dem Flügel hervor. An seinem Ende ein krummer, spitzer Krallennagel von guter Bajonettlänge. Ich wandte mich dem Spiegel zu -schon ungefähr ahnend, was zu sehen sein würde.
    Mein Gesicht: ein runzliges Fresschen, unfassbar zwischen Ferkel und Bulldogge, mit gespaltener Unterlippe und einer Nase, die wie ein ziehharmonikaartig gefalteter Rüssel aussah. Die Ohren: riesig und spitz, mit einer Vielzahl kompliziert verschachtelter Kammern. Die Stirn: flach, schwarzborstig. Auf meinem Kopf thronte ein langes, nach hinten gebogenes Horn. Klein war ich, mit tonnenförmigem Rumpf auf kurzen, krummen Beinen. Aber das Krasseste waren die Augen: klein, listig, gnadenlos und zynisch verschlagen -wie bei einem Milizionär auf dem Baumarkt Moskworezki Rynok.
    Ich hatte dieses Gesicht schon auf dem Photo gesehen: Desmodus rotundus , die Vampirfledermaus - nur dass die kein Horn hatte. So eine Maus war ich also jetzt. In Übergröße.
    Aber ehrlich gesagt, sah ich einem Teufel am ähnlichsten. Was mir zum Teufel wohl noch fehlte, war die Freude daran, ein Teufel zu sein. Das musste aber nichts besagen: Vielleicht war es mit der Freude bei den Teufeln auch nicht weit her.
    Die ausgebreiteten Flügel verfingen sich in den Möbeln, ich klappte sie lieber wieder ein. Dazu musste ich die Finger zur Faust ballen, was einige Mühe kostete - dann falteten sich die Flügel wie Knirpsregenschirme zu schwarzen Zylindern zusammen, die in den wie Hufe so harten Fäusten endeten.
    Ich versuchte einen Schritt, es klappte nicht gleich. Zu gehen erforderte eine spezielle Technik. Man musste die Fäuste gegen den Boden stemmen und den Schwerpunkt verlagern, indem man die leichten Hinterpfoten nach vorn zog. Nicht unähnlich dem Gang der Gorillas.
    Des Weiteren bemerkte ich, dass das Denken aufgehört hatte. Mein Geist setzte nicht mehr diesen Strom unzusammenhängender Gedanken frei; der innere Raum, worin sie zuvor geklumpt hatten, war leer, wie staubgesaugt. Zurückgeblieben war nur das überdeutliche Bewusstsein dessen, was um mich her passierte. Und neben dieser eindringlichen Präsenz noch etwas, das ich zuvor nicht gekannt hatte.
    Ich befand mich nicht mehr nur in der Gegenwart. Auf der Oberfläche der Realität schienen eine Vielzahl flimmernder Zukunftsbilder gestapelt, die sich mit jedem Atemzug erneuerten. Ich konnte wählen zwischen mehreren Varianten dessen, was passieren würde. Womit soll ich es vergleichen? Am ehesten vielleicht noch mit dem Head-Up-Display, auf dem ein Pilot im Abfangjäger die Welt sieht und zugleich die nötige Information dazu lesen kann. Als ein solches Zielgerät funktionierte jetzt mein Bewusstsein.
    So nahm ich zum Beispiel die Anwesenheit von Menschen wahr. In der Wohnung über mir waren sie zu zweit. Drei in der Wohnung nebenan und noch zwei unter mir. Mit wenigen Sprüngen und Schwüngen wäre ich zu ihnen gelangt, aber das wollte ich nicht. Mir war nach frischer Luft. Ich konnte die Wohnung durch die Tür verlassen, durch das Fenster oder ...
    Die dritte Variante hätte ich nie für möglich gehalten. Doch instinktiv wusste ich darum.
    Mein Geist zeichnete etwas wie eine punktierte grüne Linie: in den Kamin und durch den Schornstein, hinaus in die Zukunft. Und ich erlaubte mir, dieser Linie zu folgen. Der Kaminrost wischte an meinem Gesicht vorbei, der Ziegelschacht, Ruß, irgendeine Stahlklammer - und schon sah ich das Blechdach und den Abendhimmel.
    Ja, logisch, dachte ich - es ist eben ein Traum. Nur im Traum kann man sich so mühelos bewegen. Ich wusste auch, wohin: nach Westen. Dort würden wir uns begegnen. Die Fortbewegung war kein Problem. Luft unter die Ellbogen, abstoßen, und los ging es.
    Ich spürte Insekten im Raum schweben und Vögel. Nach jedem Atemzug, wenn die Luft leise pfeifend wie von selbst aus meinen Lungen entwich, nach jedem Flügelschlag tauchten neue auf. Jeder Atemzug erneuerte mein Weltbild - so wie ein Scheibenwischer die regentrübe Windschutzscheibe ein ums andere Mal blank wischt. Unten sah ich Häuser, Autos, Menschen. Mich, dessen war ich sicher, konnte keiner sehen. Die Angst, gestorben zu sein, hatte sich gelegt, sie kam mir nur mehr lächerlich vor. Andererseits war es schwer vorstellbar, im Wachzustand das Haus durch den Schornstein zu verlassen. Ich nahm also an, dass ich schlief und

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