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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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träumte.
    Doch gab es zumindest noch ein Wesen auf dieser Welt, das den gleichen Traum hatte. Das durfte ich einem fernen Ruf entnehmen, der ganz genauso klang wie meiner. Er machte die Welt sogleich um einiges heller und klarer - als wäre eine zweite Sonne zugeschaltet worden. Jemand kam auf mich zu, der war wie ich. Ich flog ihm entgegen. Kurz darauf waren wir beieinander.
    Ein fliegender Vampir erinnert am ehesten an ein Schwein mit schwarzem Pelz und Flughäuten. Letztere wachsen aber nicht aus dem Rücken, wie man es bei den Engelchen und Teufelchen auf den Kirchenfresken kennt, sie sind zwischen Vorder- und Hinterläufen gespannt. Zum Körper hin mit kurzhaarigem schwarzem Fell bezogen. Die Vorderläufe sind länger, die Zehen an ihnen extrem gestreckt und zu einem obszönen Fächer gespreizt, zwischen denen wiederum ledrige schwarze Häute sitzen, die einen großen Teil der Flügelspanne ausmachen.
    »Wilkommen!«, sprach das Wesen an meiner Seite.
    »Guten Abend!«, sagte ich.
    »Erkennst du mich?«, fragte das Wesen. »Ich bin Mitra.«
    Wir sprachen miteinander, jedoch auf andere Art als bisher. Telepathie wäre der falsche Ausdruck dafür, denn ich konnte Mitras Gedanken nicht lesen. Wir wechselten Sätze, die aus Wörtern bestanden - nur eben lautlos. Wie Filmuntertitel poppten sie im Geist des jeweils anderen auf.
    »Gut hergefunden?«, fragte Mitra. Dabei blinzelte er aus Olivenäuglein, die in haarigen Höhlen saßen.
    »Kein Problem. Kann man uns aus den Häusern da unten sehen?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Vorsicht!«
    Mitra bog scharf nach rechts, um eine Kante des Gasprom-Bleistifts zu umfliegen. Mit Mühe und Not tat ich es ihm gleich. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass keine weiteren Hindernisse folgten, wiederholte ich meine Frage.
    »Warum sieht man uns nicht?«
    »Frag Enlil«, antwortete Mitra. »Der kann es erklären.«
    Da wusste ich, wohin wir flogen.
    Es dämmerte schon. Im Nu lag die Stadt hinter uns. Wald trieb in verschwommenen dunklen Flecken unter uns hindurch. Dann sanken wir tiefer, und der Nebel verdichtete sich. Kurz darauf sah ich gar nichts mehr. Selbst Mitra, der nur wenige Meter voraus flog, war nicht mehr sichtbar. Doch hatte ich keinerlei Mühe, mich zu orientieren.
    Wir überquerten eine befahrene Straße. Es folgten wieder eine Zeit lang nur Bäume, Kiefern zumeist. Dann kamen Zäune und Gebäude verschiedener Art. Welcher Art, hätte ich übrigens nicht sagen können, denn ich sah sie ja nicht, tastete sie nur ab - mittels Schall. Mitra, der neben mir flog, sandte die gleichen Töne aus, was meine Wahrnehmung stereoskopisch und verlässlich machte. Ich konnte jeden Dachziegel spüren, jede Kiefernnadel und jeden Kieselstein am Boden. Nur welche Farbe das alles hatte und überhaupt welche optische Anmutung, wusste ich deshalb noch lange nicht. Die Welt kam mir vor wie eine graue Computeranimation, eine 3D-Simulation ihrer selbst.
    »Wo sind wir?«, fragte ich Mitra.
    »Nicht mehr weit bis zur Rubljowka«, antwortete er.
    »Verstehe«, sagte ich. »Wo auch sonst. Aber warum ist hier auf einmal solcher Nebel? So einen habe ich noch nie gesehen.«
    Mitra gab keine Antwort. Und nun ereilte mich zum zweiten Mal an diesem Tag eine Horrorattacke.
    Ich nahm ein Loch in der Erde wahr. Es lag genau auf unserer Strecke.
    Hätte ich die Welt mit gewöhnlichen Menschenaugen angeschaut, ich hätte es vermutlich übersehen: umzäunt, von Bäumen umstanden und einem Tarnnetz mit reichlich aufgeklebtem Plastiklaub überspannt. (Ich spürte, dass die Blätter nicht echt waren, denn sie hatten alle die gleiche Form und Größe.) Und selbst wenn es mir gelungen wäre, die steile Schräge unter dem Netz zu erspähen, hätte ich es wohl für eine Schlucht oder Sandgrube gehalten und jedenfalls nichts Außergewöhnliches daran gefunden: An Schluchten und Gruben, auch solchen, die mit Tarnnetzen überspannt sind, herrscht in Moskaus Umgebung kein Mangel.
    Doch ich sah das Loch nicht mit Augen, ich sah es mit meinem Radar. Und es erschien mir wie eine Lücke im Weltgefüge: Mein Ruf schallte hinein und nicht wieder heraus. Der Abgrund schien sich nach unten hin zu erweitern, genau konnte ich das aber nicht feststellen - dafür war er einfach zu tief. So tief, dass mir bei der Vorstellung schwummrig wurde. Vielleicht lag es auch gar nicht an der Tiefe ... Jedenfalls hatte ich wenig Lust, mich diesem Ort zu nähern, doch Mitra strebte darauf zu.
    Das vollständig abgedeckte Loch

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