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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Todesbonbon dabei?«
    Ich zuckte zusammen.
    »Wozu?«, fragte ich.
    »Hast du es dabei oder nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. Das Lächeln auf Enlil Maratowitschs Gesicht erlosch.
    »Hat Loki dir nicht eingeschärft, dass ein Vampir niemals ohne Todesbonbon aus dem Haus geht?«
    »Das hat er, ich hab nur ...«
    »Versuche gar nicht erst, dich herauszureden. Zur Strafe für diese unverzeihliche - ich betone: ganz und gar unverzeihliche - Säumigkeit müsste ich dich eigentlich mit leeren Händen zur Verkostung schicken. Damit dir das eine Lehre fürs Leben ist. Ich tue es nur deshalb nicht, weil dies auf den Ruf unserer ganzen Gemeinschaft zurückfiele. An dieser Stelle dürfen wir kein Risiko eingehen ...«
    Im nächsten Moment hielt Enlil Maratowitsch ein in schillernd grünes Papier mit Goldkante gewickeltes Bonbon in der Hand. So eines hatte ich noch nicht gesehen.
    »Iss es gleich!«, forderte er mich auf. »Damit du nicht auch noch das verlierst.«
    Ich wickelte das Bonbon aus und schob es mir in den Mund.
    »Und wozu das?«
    »Du musst einem dieser Chaldäer aufs Zahnfleisch fühlen. Sein Innerstes vor allen Anwesenden nach außen kehren. Damit setzt du dich einer großen Gefahr aus.«
    »Inwiefern?«
    »Weil diese Chaldäer es in sich haben. Und wenn du dich anschickst, dem Publikum das zu eröffnen, was dem Objekt am allerpeinlichsten ist, wird es wahrscheinlich versuchen, dich zum Schweigen zu bringen. Womöglich ein für alle Mal. Und dann erginge es dir ohne dieses Bonbon schlecht.«
    »Moment!«, sagte ich erschrocken. »So haben wir nicht gewettet. Von einer normalen Verkostung war die Rede ...«
    »Das ist eine normale Verkostung. Aber der Gefühlsausbruch des Gebissenen ist in diesem Fall nun einmal der einzige Nachweis von Authentizität. Schon deswegen musst du tief graben bei ihm, bis ganz auf den Grund, hörst du? Die Dinge ans Tageslicht holen, derer er sich am meisten schämt und die er am sorgfältigsten versteckt. Zieh sie hervor! Und sei gefasst, dass er versucht, dich daran zu hindern.«
    »Und wenn ihm das gelingt?«
    »Hast du Bammel?«
    »Klar«, gab ich zu.
    »Dann solltest du erst einmal für dich klären, wer du bist«, sagte Enlil Maratowitsch. »Eine Vorstadtschlafmütze oder ein richtiger Stecher.«
    »Ein was?«
    »Ein Stecher. So sagen wir, wenn einer nicht nur ein Vampir ist, sondern noch dazu ein richtiger Mann. Also?«
    Vorstadtschlafmütze war keine Alternative.
    »Ein Stecher!«, erwiderte ich entschlossen.
    »Dann zeig es. Vor allem dir selbst. Und allen Übrigen mit. Es ist einfacher, als du denkst. Wovor hast du Angst? Du hast das Todesbonbon, das der Chaldäer nicht hat.«
    »Ist das Verfallsdatum auch nicht überschritten?«, fragte ich besorgt.
    »Das werden wir sehen«, sagte Enlil Maratowitsch lächelnd.
    Wie ich den Kampfgeist in mir zu schüren hatte, wusste ich noch: tat die verlangten Atemzüge in der notwendigen Reihenfolge und spürte umgehend, wie eine hüpfende Leichtigkeit in meinen Körper einzog - so, wie es während Lokis Lektionen gewesen war, nur mit ein paar neuen, überraschenden Zutaten. Zum Beispiel konnte ich nun spüren, was hinter meinem Rücken geschah. Ich erkannte schemenhaft den Korridor, die Wand- und Fußbodenflächen mit all ihren Unebenheiten - als hätte ich ein Fischauge auf dem Rücken. Das war schwindelerregend.
    Da ging die Saaltür auf, Marduk Semjonowitsch und Loki kamen heraus. Man sah ihnen an, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen war.
    »Na, wer ist es?«, fragte Enlil Maratowitsch.
    »Du wirst dich wundern«, sagte Marduk Semjonowitsch. »Sie haben Semnjukov gezogen. Den Stellvertretenden Minister. Hol ihn der Satan.«
    »Ach, du Seh...«, murmelte Enlil Maratowitsch. »Das hat uns noch gefehlt. Jetzt sitzen wir in der Tinte ...«
    »Was ist denn los?«, fragte ich erschrocken.
    »Weißt du was, gib das Bonbon am besten wieder her. Ach, du hast es schon gegessen? ... He-he-he, keine Bange, ich mache nur Witze. Aber sieh zu, dass du ihn nicht ganz totschlägst, o.k.? Das wäre sonst ein schwerer Verlust. Sie würden seinetwegen vielleicht nicht Schwanensee im Fernsehen zeigen, aber eine Größe ist er.«
    »Ich habe nicht die Absicht, jemanden totzuschlagen. Mir genügt es, wenn ich am Leben bleibe.«
    »Andererseits egal, ob tot oder lebend«, korrigierte sich Enlil Maratowitsch. »Hauptsache, es sieht gut aus. Wir verbuchen es unter Autounfall.«
    Mit diesen Worten schob er mich zur Tür, aus der uns Musik und

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