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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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vielerlei ausgetüftelte Wege und Möglichkeiten, seine reale Situation zu verschleiern - selbst so ausgeklügelte Dinge wie ein Potjomkinsches Offshore gehören dazu. In Wirklichkeit aber lebt er wie jeder stinknormale Beamte von Bestechungsgeldern. Und auch wenn er sie in beträchtlicher Höhe einstreicht - sie reichen nicht. Denn das Leben, das Iwan Grigorjewitsch führt, ist kostspielig. Und neben den Leuten, mit denen er sich in Davos oder Courchevel vergnügt, kann er sowieso nicht bestehen ... So sieht es aus.«
    »Wusste ich’s doch!«, sagte eine männliche Stimme inmitten der Chaldäer.
    »Mir ist es neu«, erwiderte ein anderer.
    »Mir auch«, versetzte ein dritter.
    In diesem Moment übertrat Iwan Grigorjewitsch den Strich auf dem Fußboden. Wahrscheinlich ohne es zu merken, doch anderen blieb der verhängnisvolle Schritt nicht verborgen. Aufgeregte Stimmen ertönten: »Verspielt!« -»Alles futsch!« -, so als handelte es sich um eine Fernsehquizaufzeichnung. Mit einem ergebenen Nicken quittierte Iwan Grigorjewitsch seine Niederlage - und fiel im nächsten Moment mit den Fäusten über mich her.
    Ich sah es nicht, spürte es nur. Sein Arm kam auf meinen Nacken zugeflogen. Ich kippte den Kopf zur Seite, und die Faust schoss knapp neben dem Ohr hinter meinem Rücken hervor. Ich sah das weiße Zifferblatt der Schweizer Uhr an seinem Handgelenk - Vacheron Constantine , das Malteserkreuz - an mir vorbeiwischen.
    Das Seltsame war, dass mir die Vorgänge in der gegenständlichen Welt extrem verlangsamt erschienen, während sich die Gedanken, die ich mir dazu machte, im Normaltempo abspulten. Wieso hat dieses Kreuz eigentlich acht Spitzen? fragte ich mich und verbot mir im nächsten Moment die Gedankenabschweifung. Der Ratschlag fiel mir ein, den der junge Paris vor dem Duell im Troja-Film von seinem Bruder Hektor bekommt: »Denk an nichts als an sein Schwert -und an deines!« Aber anstelle von Schwertern stellte ich mir plötzlich eine psychoanalytische Couch vor. Immer kam einem dieser grauenvolle Diskurs dazwischen ...
    Alles, was nun folgte, geschah in Echtzeit geradezu blitzartig, mein subjektives Chronometer hingegen registrierte einen Vorgang von gleicher Umständlichkeit wie, sagen wir, das Herstellen eines belegten Brotes oder das Wechseln der Batterien in einer Taschenlampe.
    Bevor Iwan Grigorjewitsch meinen Standort erreicht hatte, sprang ich zur Seite und riss noch im Flug den Oberkörper herum, bekam so in dem Moment, da der massige Körper an mir vorbeirauschte, seine Schulter zu fassen und ließ mich von der Schwerkraft seiner Vorwärtsbewegung mitreißen. Gemeinsam schwebten wir durch den Raum wie ein Paar Eiskunstläufer. Gegen seine Korpulenz kam ich mit bloßen Fäusten schwerlich an. Etwas Schweres musste her, nach
    Möglichkeit aus Metall. Der einzig passende Gegenstand, der zur Hand war, saß ihm auf dem Kopf: die Maske. Ich riss sie herunter, schwang sie durch die Luft und knallte das stoische goldene Pokerface gegen Semnjukows Schädel. Unmittelbar nach dem Schlag ließ ich die Schulter los, und wir fuhren auseinander. Die Maske verblieb in meiner Hand. All dies gelang spielend - höchstens, dass von dem Ruck und der Anspannung die Gelenke ein wenig schmerzten.
    Während ich auf meinen Füßen landete, sah ich den Rivalen ein paar taumelnde Schritte tun, ehe er bäuchlings zu Boden ging (eine vorgetäuschte Ohnmacht, um der Schmach zu entgehen, wie ich vermutete).
    Wahrscheinlich war der Gedanke an Hektor doch nicht zufällig gewesen. Zu sehr erinnerte die kleine Szene von eben an jene Episode im Film, wo Brad Pitt den thessalischen Recken tötet, als dass ich der Verführung hätte entgehen können, mich ein wenig wie Achilles zu fühlen. Ich ging ein paar Schritte auf den Haufen der Chaldäer zu, setzte mir die Maske vors Gesicht, ließ den Blick durch die Menge gehen und röhrte geradeso wie Brad Pitt:
    »Is there no one else?«
    Die Antwort - ganz wie im Film - war Schweigen.
    Die Maske war unbequem, sie drückte auf die Nase. Beim Abnehmen bemerkte ich, dass der goldene Nasenschild platt gedrückt war wie von einem Hammerschlag. Vielleicht verstellte sich Semnjukow  ja doch nicht.
    »Rama«, raunte Enlil Maratowitsch mir zu, »du musst den Bogen nicht überspannen. Alles in Maßen!«
    Und zur Bühne gewandt, klatschte er in die Hände und rief: »Musik!«
    Selbige erlöste den Saal umgehend aus der Erstarrung. Ein paar Chaldäer eilten auf Semnjukow zu, beugten sich über ihn,

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