Das fuenfte Imperium
komisches Wort?«
»Ein sehr altes. Vielleicht das älteste überhaupt, das sich bis in unsere Tage erhalten hat. Es hat dieselbe Wurzel wie das Wort Babylon und geht zurück auf das akkadische babilu, das heißt: Gottes Tor. Bablos ist das geheiligte Getränk, das die Vampire zu Göttern macht.«
»Und von daher haben auch wir unsere Namen?«
»Jawohl. Manchmal sagen wir zu Bablos auch rote Flüssigkeit. Und Enlil drückt sich gelehrt aus und sagt Aggregat M5 dazu beziehungsweise: ultimativer Geldzustand. Kondensat menschlicher Lebenskraft.«
»Bablos trinkt man?«
»Nein. Getrunken wird Kognak. Bablos wird gesaugt. In kleinsten Mengen.«
»Jetzt mal langsam«, sagte ich. »Da scheint mir einiges durcheinanderzugehen. Enlil Maratowitsch sagt, rote Flüssigkeit wäre die korrekte Bezeichnung für menschliches ... äh ...«
»Blut. Vor mir kannst du.«
Leicht gesagt. Es kam mir schon nicht mehr so ohne Weiteres über die Lippen.
»Er sagt, Vampire würden keine rote Flüssigkeit mehr trinken, seit sie den Menschen gezüchtet haben und ihn Geld produzieren lassen.«
»Alles ganz richtig«, sagte Ischtar. »Aber wir sind Vampire und bleiben es. Ganz kommen wir vom Blut nicht los. Sonst verlören wir ja auch unsere Wurzeln und unsere Identität. Was ist denn Geld? Es ist das symbolische Blut der Welt.
Auf ihm baut sich alles auf, bei den Menschen genau wie bei uns Vampiren. Aber die Bauwerke sind nichtsdestoweniger verschieden. Denn während wir in der Wirklichkeit leben, stecken die Menschen in einer Welt der Illusionen.«
»Und warum? Sind die denn alle blöd?«
»Sind sie nicht. Die Welt ist einfach so eingerichtet. Der Mensch kommt auf die Welt, um Bablos aus konzentriertem Glamour zu produzieren. Auch wenn es zu verschiedenen Zeiten verschieden geheißen hat - die Formel des Menschenschicksals ist seit Jahrtausenden dieselbe.«
»Was für eine Formel ist das?«
»Illusion—>Geld—>Illusion. Weißt du, was die Menschenart unter allen biologischen Wesen hauptsächlich auszeichnet? Menschen jagen unentwegt Schimären nach, die in ihren Köpfen entstehen. Und aus unerfindlichen Gründen suchen sie nach ihnen nicht bei sich im Kopf, wo sie entstehen, sondern in der realen gegenständlichen Welt, auf die diese Schimären projiziert werden. Und erst wenn sich diese Projektionen auflösen, hält der Mensch inne und staunt: Nanu, was war das denn? Wo bin ich und wieso und was nun? Und so ergeht es regelmäßig nicht nur einzelnen Leuten, sondern ganzen Zivilisationen. Das Leben in der Illusion ist für den Menschen so normal und selbstverständlich wie für einen Heuschreck, auf der Wiese zu sitzen. Denn die menschliche Illusion ist der Rohstoff für unser Bablos ...«
Es reicht langsam mit diesem Heuschreck!, dachte ich. Die ständigen Bemühungen altgedienter Vampire, mir etwas in einer für mich verständlichen Sprache zu erklären, waren doch sehr ermüdend.
»Und was bedeutet es, in der Wirklichkeit zu leben?«, fragte ich.
»Das hat Graf Dracula sehr schön gesagt: Image ist nichts. Durst ist alles.«
»Haben die Vampire auch eine Schicksalsformel?«
»Aber ja: Rote Flüssigkeit—>Geld—>Rote Flüssigkeit. Oder weniger politisch korrekt ausgedrückt: Blut—>Geld—>Bablos. Mit der roten Flüssigkeit ist die des Menschen gemeint. Bablos hat nichts Menschliches mehr.«
»Und warum sagt man dann sowohl zu Bablos als auch zum ... Saft des Menschen rote Flüssigkeit?«
»Weil es dasselbe ist, nur auf verschiedenen Windungen der dialektischen Spirale. Es stimmt nicht nur farblich überein, sondern auch in der Substanz. So wie meinetwegen Bier und Kognak ...«
Beim letzten Wort ging ihr Blick zum Tisch und zu mir zurück, dabei zwinkerte sie verschwörerisch. Bemüht, jedes Klirren zu vermeiden, goss ich ihr den Rest Hennessy XO ins Glas und von da dem Kopf in den Mund. Wieder tauchte sie mit großem Geschick darunter und ließ nicht einen Tropfen zu Boden gehen.
In welchen Bahnen der getrunkene Kognak sich verlor, war nicht zu erkennen. In Ischtars Hals musste es eine Art Kropf geben. Der Alkohol zeigte nunmehr deutliche Wirkung. Ihr Gesicht war gerötet; hinter den Ohren traten chirurgische Narben hervor, die vorher nicht zu sehen gewesen waren.
Ein unsichtbares weibliches Wesen hinter dem Schirm hüstelte vielsagend. Ich beschloss, Ischtar keinen Schnaps mehr zu geben.
»Der Unterschied liegt in der Konzentration«, fuhr Ischtar fort. »Der Mensch hat fünf Liter rote Flüssigkeit in sich.
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