Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
widerstehen.«
    »Dass ich Iwan Grigorjewitsch bin, weiß der ganze Saal«, sagte Semnjukow.
    Ich schmatzte ein paarmal vernehmlich (mehr der Wirkung halber und vielleicht, um die älteren Vampire nachzuahmen) und sagte: »Ich schlage ein Gentlemen’s Agreement vor. Vor Ihren Füßen verläuft eine dicke schwarze Linie. Das Fußbodenmuster, sehen Sie?«
    Ich konnte die Linie selbst nicht sehen, wusste aber genau, wo sie war: als hätte ein Navigationssystem in meinem Kopf die Position errechnet. Offensichtlich verfügte Enlil Maratowitsch über eine besondere Sorte Todesbonbons. Die Chefsorte.
    »Könnten wir uns so einigen, dass ich das Spiel als gewonnen ansehen darf, wenn Sie diese Linie überschreiten?«
    »Wozu brauche ich ein Gentlemen’s Agreement?«, fragte Semnjukow.
    »Um beizeiten alle Manieren fallen lassen zu können.«
    »Ah ja«, sagte Semnjukow in artigem Ton. »Da bin ich aber mal gespannt.«
    Mein Gefühl sagte mir, dass er einen Schritt zurückgetan hatte.
    Ich runzelte die Stirn, setzte eine Miene auf, die äußerste Konzentration widerspiegeln sollte. Ließ ungefähr eine Minute vergehen, in der im Saal absolute Stille herrschte. Dann begann ich.
    »Also, was lässt sich über Ihr Innenleben sagen, Iwan Grigorjewitsch? An jedem noch so bösen Menschen, heißt es, lässt sich ein guter Faden finden. Um das Gute in Ihnen aufzuspüren, musste ich die werten Anwesenden im Saal etwas auf die Folter spannen, aber leider: Ich fand an Ihnen nur zwei halbwegs menschliche Züge: dass Sie erstens homosexuell sind und zweitens ein Mossad-Agent. Der Rest ist zum Gruseln. Selbst mich, den professionellen Vampir, gruselt es, ich bin außer mir. Und dabei sah ich schon in manchen Abgrund, das können Sie mir glauben ...«
    Semnjukow schwieg. Gespannte Stille herrschte im Saal.
    »Die Abgründe kennen wir, Rama«, hörte ich Enlil Maratowitsch hinter mir sagen. »Die kennt jeder hier im Raum. Mach mal Nägel mit Köpfen, Junge. Was du bisher zum Besten gibst, ist wenig investigativ. Von so alten Hüten bleibt niemandem die Spucke weg.«
    »Dazu habe ich diese Fakten ja auch nicht angeführt, eher zu seiner Entlastung. Aber wenn es Sie nach den schmutzigsten, schändlichsten und schmählichsten Umständen dieser Person gelüstet - bitte schön ... Dann lasse ich die Details seines Intimlebens außen vor, verschweige die finanziellen Unanständigkeiten und die pathologische Schwindelei, denn nichts von alledem scheint Iwan Grigorjewitsch zu genieren, für ihn sind das die Grundzüge einer modernen dynamischen Persönlichkeit. Womit er bedauerlicherweise sogar recht hat. Doch da ist etwas, das ist selbst ihm hochgradig peinlich. Etwas gibt es, das er tief vor sich und anderen vergräbt ... Vielleicht schweigen wir lieber davon?«
    Ich spürte, wie die Spannung im Saal zu knistern anfing.
    »Aber ach, es muss ja doch ans Licht«, fuhr ich fort. »Also. Iwan Grigorjewitsch steht auf vertrautem Fuß mit vielen Wirtschafts- und Finanzgrößen dieses Landes, vermögenden Leuten, von denen mancher hier zugegen ist. Sie kennen Iwan Grigorjewitsch als Geschäftsmann von Rang; diese seine Geschäfte befinden sich bis auf Weiteres in treuhänderischer Verwaltung einer Gruppe von Rechtsanwälten, da unser Held seit vielen Jahren ein Staatsamt bekleidet...«
    Ich spürte, wie Semnjukows Kopf zu rucken und zu zucken anfing; etwas an dem Gesagten schien durchaus nicht seine Zustimmung zu finden. Ich verstummte in Erwartung eines Einspruchs. Doch es kam nichts. So brachte ich die Sache zu Ende.
    »Meine Herren, Iwan Grigorjewitschs peinlichstes, dunkelstes und schmutzigstes Geheimnis besteht darin, dass es diese treuhänderische Verwaltung gar nicht gibt. Aktien, Rechtsanwälte, all das ist reiner Bluff, denn er ist gar kein Geschäftsmann. Es gibt nur ein paar Scheinfirmen, Potjomkinsche Dörfer, die aus einem Namen, einem Logo und einem Briefkasten bestehen. Und er braucht diese Firmen nicht für irgendwelche dunklen Machenschaften, sondern, um Machenschaften vorzutäuschen. Am Beispiel von Iwan Grigorjewitsch lässt sich, nebenbei gesagt, deutlich machen, was heutzutage Reiche von Armen unterscheidet. Ein Reicher gibt vor, weniger Geld zu haben, als er in Wirklichkeit hat. Ein Armer tut so, als hätte er mehr. In diesem Sinne ist Iwan Grigorjewitsch zweifellos einer der Allerärmsten und schämt sich dieser Armut über alle Maßen - obwohl ihn die meisten seiner Mitbürger für unermesslich reich halten. Er verfügt über

Weitere Kostenlose Bücher