Das fünfte Kind. Roman
Bäuerchen wartete, stand er beinahe aufrecht in ihren Armen, und ihr wurde schwach bei dem Gedanken, dass diese unbändige Kraft noch vor Kurzem in ihrem Innern getobt hatte und sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen war. Monatelang hatte Ben gekämpft, um aus ihrem Leib zu kommen, und nun kämpfte er schon um seine Unabhängigkeit.
Als sie ihn in sein Bettchen legte, was sie immer mit Erleichterung tat, weil ihre Arme schmerzten, brüllte er sich noch ein Weilchen aus, wurde dann aber still, obwohl er nicht schlief, sondern hellwach war und den ganzen Körper unablässig krümmte und wieder streckte, mit den heftigen Stoßbewegungen von Kopf und Fersen, die Harriet nur allzu bekannt waren: Genau auf diese Weise hatte sie sich innerlich malträtiert gefühlt, als sie ihn noch im Leibe trug.
Sie legte sich wieder zu David ins Bett. Er nahm sie behutsam in den Arm und zog sie näher zu sich heran, aber sie fühlte sich irgendwie schäbig und verlogen, weil ihm ihre Gedanken sicher nicht gefallen hätten.
Bald wurde es ihr unerträglich, Ben zu stillen. Nicht, dass er dabei zu kurz gekommen wäre: Er gedieh prächtig. Nach einem Monat hatte er zu seinem Geburtsgewicht schon zwei Pfund zugelegt. Als reguläres Neunmonatskind wäre er jetzt erst knapp eine Woche alt gewesen.
Ihre Brüste taten ständig weh. Da die Milchsekretion stärker angeregt wurde als je zuvor, schwollen sie zu prallen weißen Kugeln an, lange bevor die nächste Fütterung fällig war. Aber Ben brüllte schon nach Nahrung, und Harriet legte ihn an, und er leerte beide Brüste binnen zwei oder drei Minuten bis zum letzten Tropfen. Sie fühlte, wie die Milch einem Strom gleich aus ihr herausgesaugt wurde. Er war auf eine neue Variante verfallen: Mehrere Male während des Stillens schob er den Unterkiefer mit einer harten, mahlenden Bewegung hin und her, und wenn Harriet einen Schmerzenslaut ausstieß, war es ihr, als ob seine kleinen kalten Augen schadenfroh funkelten.
»Es hilft nichts, ich muss ihn auf die Flasche umstellen«, sagte sie zu Dorothy, die ihre Kämpfe mit demselben Blick verfolgte, den, wie Harriet fand, jeder annahm, der sie und Ben beobachtete: Dorothy verhielt sich dabei ganz still und aufmerksam, beinahe fasziniert, aber ihre Miene verriet auch Ablehnung. Und Furcht?
Harriet war darauf gefasst, dass ihre Mutter ihr entgegenhalten würde: »Er ist doch erst fünf Wochen alt!« Doch Dorothy sagte lediglich: »Ja, das musst du wohl, sonst wirst du krank.« Etwas später, als Ben wieder einmal brüllte, strampelte und um sich stieß, bemerkte sie: »Demnächst kommen alle für die Sommerferien.« Sie sagte es in einem Ton, der neu an ihr war, als hörte sie sich selbst zu und nähme sich in Acht, um ja nichts Unrechtes zu sagen. Harriet erkannte sich darin wieder, denn sie wagte kaum noch etwas laut zu äußern. So redeten Menschen, deren Gedanken in geheimen Bahnen verliefen, von denen andere Leute besser nichts ahnten.
Am Nachmittag desselben Tages kam Dorothy noch einmal ins Schlafzimmer, als Harriet Ben gerade von der Brust nahm, die mit blauen Flecken bedeckt und um die Warzenhöfe wund war. Sie sagte: »Ja, du musst ihn abstillen. Sofort. Ich habe heute Nachmittag alles Nötige gekauft. Jetzt gehe ich die Flaschen sterilisieren.«
»Ja, entwöhne ihn«, stimmte David sofort zu. Dabei hatte sie die anderen vier Kinder so lange gestillt, dass kaum je eine Flasche ins Haus gekommen war.
Abends, nachdem die Kinder zu Bett waren, saßen Harriet und David, Dorothy und Alice um den großen Küchentisch, und Harriet probierte es zum ersten Mal mit der Flasche. Ben leerte sie in einem Zug, während er sich abwechselnd zusammenzog und streckte. Er winkelte die Knie bis in die Magengrube an und ließ die Beine dann zurückschnellen wie eine Sprungfeder. Als die Flasche leer war, plärrte er.
»Gib ihm noch eine«, sagte Dorothy und begab sich eilig an den Herd.
»Was für ein gesegneter Appetit«, bemerkte Alice mit bemühter Freundlichkeit, aber in ihren Augen flackerte die Angst.
Ben leerte auch die zweite Flasche und hielt sie schon selbst mit beiden Händen. Harriet brauchte kaum nachzufassen.
»Kleiner Neandertaler«, murmelte sie.
»Nun mal sachte«, widersprach David halbherzig, »armer kleiner Kerl!«
»Oh Gott, David«, sagte Harriet, »›arme Harriet‹ käme der Sache schon näher.«
»Ist ja schon gut. Diesmal scheint da irgendwas mit den Genen passiert zu sein.«
»Fragt sich nur, was«, sagte
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