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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Harriet. »Darauf kommt es an.
Was
ist er?«
    Die anderen drei sagten nichts, aber ihr Schweigen verriet, dass sie am liebsten nicht darüber nachdenken wollten, was diese Frage alles bedeuten konnte.
    »Also gut«, sagte Harriet, »sagen wir, er hat einen gesunden Appetit, wenn euch das glücklich macht.«
    Dorothy nahm ihr das ungebärdige Wesen ab, und Harriet sank erschöpft in ihren Sessel zurück. Dorothys Gesichtsausdruck änderte sich, als sie das bleierne Gewicht des Kindes spürte, seine Unnachgiebigkeit. Sie setzte sich so, dass Bens wie Kolben arbeitende Beine sie nicht ins Gesicht trafen.
    Bald schaffte Ben mehr als das Doppelte der Nahrungsmenge, die für sein Alter empfohlen wurde, mindestens zehn Flaschen pro Tag. Er bekam Brechdurchfall, und sie brachte ihn zu Doktor Brett.
    »Bei einem Brustkind sollten keine Infektionen vorkommen«, sagte er.
    »Ich stille nicht mehr.«
    »Das sieht Ihnen aber gar nicht ähnlich, Harriet! Wie alt ist er jetzt?«
    »Zwei Monate«, sagte Harriet. Sie knöpfte ihr Kleid auf und zeigte dem Arzt ihre Brüste, die noch immer Milch produzierten, als reagierten sie auf Bens unersättlichen Appetit. Sie waren, besonders um die Warzen herum, blutunterlaufen und entzündet.
    Dem Doktor verschlug dieser Anblick die Sprache, und Harriet sah es ihm an. Sein anständiges, besorgtes Gelehrtengesicht sah sich einem Problem gegenüber, das über seinen Horizont ging.
    »So ein unartiges Baby«, räumte er schließlich ein, und Harriet lachte verblüfft auf.
    Doktor Brett wurde rot. Einen Moment flackerte Verständnis in seinem Blick, doch sah er rasch wieder beiseite.
    »Alles, was ich brauche, ist ein Mittel gegen Durchfall«, sagte Harriet. Sie starrte ihm unverhohlen ins Gesicht, um ihn zu zwingen, sie anzusehen. »Schließlich ist es nicht meine Absicht, das widerliche kleine Scheusal umzubringen.«
    Er seufzte, nahm die Brille ab und putzte langsam die Gläser. Mit umwölkter Miene, aber ohne persönlichen Tadel sagte er: »Es kommt nicht selten vor, dass ein Kind von der Mutter abgelehnt wird. Ich erlebe es immer wieder. Leider.«
    Harriet sagte nichts, aber sie lächelte aufreizend und war sich dessen auch bewusst.
    »Lassen Sie ihn einmal genauer ansehen«, sagte er.
    Harriet hob Ben aus dem Kinderwagen und legte ihn auf den Untersuchungstisch. Ben drehte sich augenblicklich auf den Bauch und versuchte, sich auf allen vieren hochzustemmen. Für ein paar Sekunden gelang es ihm sogar, bevor er zurückklatschte.
    Harriet sah unentwegt auf Doktor Brett, aber er wandte sich seinem Schreibtisch zu, um ein Rezept auszufertigen.
    »Soviel ich sehe, fehlt ihm nichts Besonderes«, sagte er in dem halb benommenen, halb gekränkten Ton, in den die meisten Leute bei Bens Anblick verfielen.
    »Haben Sie je zuvor so ein Zweimonatsbaby gesehen?«, bohrte Harriet weiter.
    »Nein. Ich gebe zu, dass ich das nicht habe. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
    Mittlerweile hatte es sich längst in der Familie herumgesprochen, dass das fünfte Kind glücklich geboren und alles in Ordnung war. Das bedeutete, auch Harriet war wiederhergestellt. Viele schrieben oder riefen an, um zu versichern, wie sehr sie sich auf die Sommerferien freuten. »Wir sehnen uns schon nach dem neuen Baby«, sagten sie. Und: »Ist Klein Paul noch so süß wie immer?« Dann kamen sie an und brachten Wein und Sommerfrüchte aus allen Landesteilen mit, und alle möglichen Freiwilligen standen mit Alice und Dorothy beim Marmeladen- und Chutney-Einkochen in der Küche. Ein ganzes Rudel von Kindern spielte im Garten oder wurde zu Picknickausflügen mit in die waldige Umgebung genommen. Der kleine Paul, der verschmuster und drolliger war denn je, saß ständig auf irgendeinem Schoß, und sein Juchzen war allerorten zu hören. Doch sein natürlicher Frohsinn wurde von Ben und dessen Forderungen überschattet.
    Weil das Haus voll war, schliefen die älteren Kinder wieder zusammen in einem Zimmer. Ben lag bereits in einem Gitterbett und verbrachte seine Zeit damit, sich an den Stäben hochzuziehen, zur Seite oder nach hinten zu purzeln, sich um die eigene Achse zu drehen und wieder von vorn anzufangen … Dieses Gitterbett wurde zu den Älteren ins Zimmer gestellt, in der Hoffnung, Ben würde unter dem wohltätigen Einfluss seiner Geschwister freundlicher und geselliger werden. Dies war nicht der Fall. Ben scherte sich weder um sie noch um ihre Annäherungsversuche, und sein Gebrüll, oder besser sein Gebell, war so entnervend,

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