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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Kindergarten?«, fragte Jane.
    »Quatsch«, sagte Luke.
    »Quatsch«, sagte auch Helen.
    David machte eine Pause. Offenbar hatte ihn die Inspiration verlassen. Er zog die Brauen zusammen und bekam einen leeren Blick, als hätte er Kopfweh.
    Harriet hätte ihn am liebsten angeschrien: »Hör auf! Lass das! Du sprichst ja von mir – das ist dir nicht von ungefähr eingefallen!« Sie konnte nicht glauben, dass David es nicht selbst merkte.
    »Und dann?«, forschte Luke. »Was ist dann genau passiert?«
    »Nun warte doch«, sagte David. »Meine Suppe wird kalt.« Er nahm einen Löffel voll.
    »Ich weiß, was weiter passierte«, sagte Dorothy entschieden. »Phyllis beschloss, diesen scheußlichen Teich zu verlassen, und zwar
sofort
. Sie rannte schnell weg, und auf dem Waldweg lief sie ihrem Bruder in die Arme, der schon ziemlich lange nach ihr gesucht hatte. Sie nahmen sich bei der Hand und liefen aus dem Wald und kamen heil und sicher wieder zu Hause an.«
    »Ja, so war es, genau!«, bestätigte David mit reuigem Lächeln, aber er sah etwas benommen aus.
    »Und das war wirklich alles, Daddy?«, erkundigte sich Luke eindringlich.
    »Wirklich alles«, sagte David.
    »Aber wer war denn das Mädchen in dem Teich?«, fragte Helen und sah von ihrem Vater hin zu ihrer Mutter.
    »Oh, irgendein Trugbild«, erwiderte David wegwerfend. »Ich hab keine Ahnung. Es hat sich einfach materialisiert.«
    »Was ist ›ma-te-rialisiert‹?« Luke sprach das schwierige Wort mühsam nach.
    »Zeit zum Schlafengehen!«, mischte Dorothy sich ein.
    »Aber was heißt ›materialisiert‹?«, beharrte Luke.
    »Es hat ja noch gar keinen Pudding gegeben!«, rief Jane.
    »Heute gibt es keinen Pudding, wir haben Obst«, sagte Dorothy.
    »Was heißt ›materialisiert‹, Daddy?«, bohrte Luke hartnäckig weiter.
    »Das ist, wenn … wenn sich etwas zeigt, was eigentlich gar nicht da ist.«
    »Aber wie kommt das, warum?« Nun war auch Helen von Lukes Wissensdurst angesteckt.
    »Zu Bett, Kinder!«, sagte Dorothy befehlend.
    Helen und Luke nahmen sich je einen Apfel, und Jane stibitzte mit einem raschen, schuldbewusst mutwilligen Lächeln ein Stück Brot von Harriets Teller. Ihr war die Geschichte nicht besonders zu Herzen gegangen.
    Die drei Kinder begaben sich lärmend die Treppe hinauf, und der kleine Paul, der ihnen hinterhersah und sich ausgeschlossen fühlte, verzog das Gesicht zum Weinen.
    Alice nahm ihn rasch auf den Arm und stand auf, um den anderen zu folgen. »Mir hat niemand Geschichten erzählt, als ich klein war!«, sagte sie. Ihrem Ton war nicht zu entnehmen, ob sie sich beklagte oder eher »Zum Glück!« meinte.
    Plötzlich erschien Luke noch einmal auf dem Treppenabsatz. »Wenn es Sommerferien gibt, kommen dann wieder alle?«
    David sah besorgt zu Harriet und gleich beiseite. Dorothy richtete jedoch den Blick fest auf ihre Tochter.
    »Ja«, sagte Harriet schwach, »natürlich.«
    Luke schrie die Treppe hinauf: »Sie hat ›Ja‹ gesagt!«
    »Du wirst dann erst gerade aus dem Wochenbett sein«, bemerkte Dorothy.
    »Ich überlasse dir und Alice die Entscheidung«, sagte Harriet. »Wenn ihr glaubt, es wird zu viel für euch, müsst ihr es sagen.«
    »Bis jetzt habe ich noch alles geschafft«, sagte Dorothy trocken.
    »Ja, ich weiß«, sagte David rasch. »Du bist großartig.«
    »Was hättet ihr bloß angefangen, wenn ich …«
    »Bitte nicht«, bat David leise. Und zu Harriet: »Ich glaube, wir verschieben das nächste Familientreffen doch besser auf Weihnachten.«
    »Das würde die Kinder aber sehr enttäuschen«, sagte Harriet. Der Einwand kam matt und gleichgültig, keine Spur von ihrem alten Dickkopf. Ihr Mann und ihre Mutter musterten sie besorgt, und Harriet empfand ihre Blicke als kühl und wenig freundlich. »Vielleicht«, sagte sie verbissen, »gibt es ja diesmal eine Frühgeburt. Ich bin ganz darauf gefasst.« Sie lachte, halb ungläubig, halb gequält, und dann stand sie mit dem Ruf »Ich
muss
mich bewegen!« rasch auf und begann ihr mühseliges, hartnäckiges Hin-und-her-Gehen von Neuem.
    Im achten Monat ging sie zu Doktor Brett und bat ihn, die Geburt künstlich einzuleiten.
    Er betrachtete sie kritisch und sagte: »Ich dachte, von solchen Sachen halten Sie nichts.«
    »Bisher nicht. Aber dieser Fall liegt anders.«
    »In meinen Augen nicht.«
    »Nur weil Sie nichts sehen wollen. Sie sind nicht im achten Monat mit diesem …« Sie verschluckte gerade noch das Wort
»Monster«
, um ihn nicht gegen sich aufzubringen. Obwohl

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