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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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dieses Haus gut ist? Warum all die Leute immer wiederkommen? Sie machen sich hier eine schöne Zeit, und weiter nichts.«
    David war überrascht, ja, wie Harriet deutlich empfand, sogar schockiert. »Ja, weswegen laden wir sie denn sonst dauernd ein?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie hilflos. Sie ließ sich von David umarmen, und er hielt sie fest umschlungen, während sie sich ausweinte. Sie hatten noch nicht wieder miteinander geschlafen. Das war in all den Jahren nicht vorgekommen. Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft, und sehr bald nachher, war für sie nie ein Problem gewesen. Aber nun dachten beide: »Dieses Geschöpf hat sich nicht um unsere Vorsichtsmaßnahmen gekümmert, wie, wenn jetzt noch so eins käme?« Denn beide hatten insgeheim das Gefühl, obwohl sie sich ihrer Gedanken schämten, dass Ben den unbedingten Willen gehabt hatte, geboren zu werden, und sich in ihr wohlgeordnetes Leben gedrängt hatte, das über keine Waffen gegen irgendwen oder irgendetwas seinesgleichen verfügte. Aber der Verzicht auf Sex machte ihnen nicht nur zu schaffen, sondern richtete eine Art Barriere zwischen ihnen auf, da sie beide unaufhörlich an eine mögliche neue Bedrohung dachten …
    Dann geschah etwas Schlimmes. Gleich nachdem die Schule wieder anfing und die Gäste abgereist waren, ging Paul einmal aus eigenem Antrieb in Bens Zimmer. Er war unter all den Geschwistern derjenige, der sich von Ben am meisten angezogen fühlte. Harriet brachte die Älteren gerade zur Schule und in den Kindergarten, und plötzlich hörten Dorothy und Alice, die allein in der Küche waren, gellende Schreie. Sie rasten die Treppe hinauf und fanden Paul, der seine Hand zu Ben durch die Gitterstäbe gesteckt hatte. Ben hatte die Hand gepackt und zerrte seinen Bruder nun mit aller Gewalt gegen die Stäbe, wobei er ihm absichtlich den Arm verbog. Die beiden Frauen befreiten Paul und hielten sich nicht damit auf, Ben auszuschelten, der vor Vergnügen und Genugtuung krähte. Pauls Arm war übel verrenkt.
    Niemand hatte daran gedacht, die Kinder direkt vor Ben zu warnen, und nach diesem Vorfall war es auch nicht mehr notwendig. Als die Größeren am Abend hörten, was geschehen war, vermieden sie es, ihre Eltern oder Dorothy oder Alice anzusehen. Sie sahen sich nicht einmal gegenseitig an. Sie standen nur stumm und mit gesenkten Köpfen da, woraus die Erwachsenen schlossen, dass die Kinder sich ihr Urteil über Ben bereits gebildet hatten: Sie hatten längst über ihn gesprochen und wussten, was von ihm zu halten war. Luke, Helen und Jane gingen schweigend zu Bett, und für die Eltern war dies ein schlimmer Moment.
    Alice sah sie von der Seite an und murmelte: »Die armen kleinen Dinger.«
    »Es ist ein Jammer«, sagte Dorothy.
    Harriet spürte, dass diese beiden Frauen, diese zähen, viel geprüften Kriegsveteranen, sie, Harriet, aus ihrer reifen Lebenserfahrung heraus verurteilten. Sie blickte zu David hinüber und sah, dass er genauso dachte. Abfällige Kritik und Widerwillen: Ben provozierte bei allen nur diese Gefühle, brachte sie unbarmherzig ans Licht …
    Am Tag nach dem Zwischenfall mit Pauls Arm erklärte Alice, sie habe den Eindruck, sie werde in diesem Haus nicht länger gebraucht, und wolle deshalb in ihr eigenes Leben zurückkehren: Sie sei sicher, dass Dorothy auch allein zurechtkomme. Schließlich sei auch Jane nun tagsüber in der Schule. Eigentlich hätte Jane in diesem Jahr noch nicht zur Schule gemusst, aber sie wurde ausnahmsweise früher aufgenommen. Der Hauptgrund war natürlich Ben, obwohl das niemand offen aussprach. Alice fuhr ab, ohne auch nur mit einer Silbe angedeutet zu haben, dass es ebenfalls wegen Ben war. Aber sie hatte sich Dorothy anvertraut, und die sagte es wiederum David und Harriet, dass Ben ihr Grauen einflößte. Er müsse ein Wechselbalg sein. Dorothy, vernünftig, gelassen und sachlich wie immer, hatte Alice ausgelacht. »Ausgelacht habe ich sie!«, bekräftigte sie. »Aber«, fügte sie grimmig hinzu, »wieso eigentlich?«
    David und Harriet berieten sich in den leisen, schuldbewussten, ungläubigen Tönen, die Ben ihnen aufzuzwingen schien. Dieses Kind war noch kein halbes Jahr alt. Und doch … es war drauf und dran, ihr Familienleben zu zerstören. Zum Teil war es ihm ja schon gelungen. Sie würden darauf achten müssen, dass Ben während der Mahlzeiten und wenn die Kinder unten mit den Erwachsenen im Wohnzimmer waren, in seinem Zimmer blieb. Kurz gesagt, wenn die Familie

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