Das fünfte Kind. Roman
dass Luke, der Älteste, ihn anschrie: »Halt endlich die Schnauze!« Worauf er wegen seines eigenen Benehmens in Tränen ausbrach.
Helen, die in dem Alter war, in dem kleine Mädchen gern Mutter spielen, versuchte Ben auf den Arm zu nehmen, aber er war viel zu stark für sie. Bald wurden alle Kinder, die sich im Haus befanden, ins Dachgeschoss umquartiert, wo sie herumtoben konnten, so viel sie wollten, und Ben bekam wieder sein eigenes Zimmer, die »Baby-Kammer« neben dem Elternschlafzimmer. Von dort hörten Harriet und David, aber auch einige Hausgäste, sein ewiges Grunzen und Rumoren und sein Wutgebrüll, wenn er bei seinen Kraftproben wieder einmal auf die Nase gefallen war.
Das neue Baby war natürlich jedem, der darum bat, in den Arm gelegt worden, aber es war schmerzlich, mit anzusehen, wie rasch der Gesichtsausdruck bei jedem wechselte, der Bens fremdartige Kraft direkt verspürte. Ben wurde immer schleunigst zurückgereicht.
Harriet kam eines Tages unbemerkt in die Küche und hörte gerade noch, wie ihre Schwester Sarah zu einer Cousine sagte: »Dieser Ben macht mir eine Gänsehaut. Er kommt mir wie ein Wechselbalg vor oder ein böser Gnom oder so was. Da ist mir meine arme Amy doch tausendmal lieber!«
Seither litt Harriet unter Schuldkomplexen, weil niemand den armen Ben lieben konnte. Noch nicht einmal sie selbst! Und David, der sonst so gute Vater, rührte ihn kaum an. Harriet nahm Ben aus dem Gitterbett, das so sehr einem Käfig glich, legte ihn auf das große Ehebett und setzte sich zu ihm. »Armer Ben, arger Ben«, gurrte sie und streichelte ihn. Ben packte sie mit beiden Fäusten an der Bluse, zog sich daran in die Höhe und stellte sich auf ihre Oberschenkel. Die harten, stämmigen Füße taten ihr weh. Sie versuchte, ihn in die Arme zu nehmen, ihn an sich zu drücken, zu beschwichtigen, aber sehr bald gab sie es auf und legte ihn zurück in seinen Pferch, seinen Käfig. Er protestierte mit Gebrüll, und wenn sie mit dem reuigen Gemurmel, »armer Ben, lieber Ben«, die Hände nach ihm ausstreckte, krallte er sich sofort daran fest, hob sich auf die Füße und grunzte triumphierend. Vier Monate alt … Er war wie ein boshafter, feindseliger junger Troll.
Harriet machte es sich zur Pflicht, täglich, sobald die anderen Kinder aus dem Weg waren, zu ihm zu gehen und ihn zum Spielen und Knuddeln ein Weilchen aufs Ehebett zu holen, wie sie es bisher mit allen getan hatte. Nie, nicht ein einziges Mal, überließ er sich einer Liebkosung. Er widerstand, widerstrebte, schlug um sich, und dann schlossen sich seine Kiefer um ihren Daumen. Es war nicht der saugende Zubiss normaler Babys, die sich damit das Zahnen erleichtern oder erkunden wollen, was so ein Mund alles kann: Harriet fühlte den Biss bis auf den Knochen und sah Bens kaltes, triumphierendes Grinsen. »So kriegst du mich nicht unter! Mich nicht!«, hörte sie sich sagen.
Eine Zeit lang tat sie ihr Äußerstes, ein normales Baby aus ihm zu machen. Sie nahm ihn mit ins geräumige Wohnzimmer, wo die ganze Familie beisammen war, und setzte ihn in den Laufstall, bis seine Anwesenheit allen so auf die Nerven fiel, dass sie sich heimlich verdrückten. Oder sie kam, Ben auf dem Arm, an den Familientisch, wie es bei all ihren anderen Kindern selbstverständlich gewesen war. Aber sie konnte ihn nicht lange halten, er benahm sich zu widerspenstig.
Trotz Ben waren die Sommerferien herrlich. Wieder dauerten sie ganze zwei Monate, und wieder brachte Davids Vater, der nur auf eine Stippvisite vorbeikam, einen Scheck mit, ohne den sie sicher nicht zurechtgekommen wären. »In diesem Haus fühle ich mich wie mitten in einem grässlichen, riesigen Wackelpudding«, sagte James. »Gott weiß, wie ihr das aushaltet.«
Wenn Harriet später auf diese Sommerwochen zurückblickte, war das, woran sie sich am genauesten erinnerte, die Art, wie alle Ben angesehen hatten: zuerst starr, betroffen, verwirrt bis besorgt, dann mit Angst, obwohl keiner es sich anmerken lassen wollte. Auch mit Schaudern. Das war es, was sich in Harriet selbst mehr und mehr festsetzte. Schon bald sonderte sie Ben in der »Baby-Kammer« von jedermann ab. Ihm schien es nichts auszumachen, falls er es überhaupt bemerkte. Es war schwer, dahinterzukommen, was er von seiner Umgebung hielt.
Eines Nachts, als Harriet vor dem Einschlafen mit dem Kopf auf Davids Arm lag und sie, wie immer, die Tagesereignisse besprachen, sagte sie plötzlich aus einem Wust von Gedanken heraus: »Weißt du, wozu
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