Das fünfte Kind. Roman
zunächst als ausgesprochen harmonisch dargestellt, und mit dem Erwerb des geräumigen Hauses und dem Kindersegen scheinen David und Harriet Lovatt ihr erklärtes Ziel erreicht zu haben: das Familienglück. Die Protagonisten sind der Überzeugung, dass man sich dieses Glück verdienen, aber andererseits auch verscherzen kann. Als beispielsweise Harriets Schwester Sarah und ihr Mann ein behindertes Kind bekommen, mutmaßt Harriet, dass die ehelichen Streitereien des Paares wohl für die Erkrankung des Kindes verantwortlich sind – bis sie schließlich nach zermürbenden Jahren mit Ben so weit geht, ihr fünftes Kind als Strafe zu betrachten: »Für unsere Anmaßung. Wir haben geglaubt, glücklich zu werden, nur weil wir es so wollten. (…) Aber wer waren
wir
denn, dass wir aus freien Stücken beschließen konnten, so oder so zu sein? (…) Wir wollten immer besser sein als alle anderen. Und wir dachten, wir wären es.« Die Familie Lovatt ist an Ben zerbrochen – sie hat, nicht zuletzt für ihre eigenen Begriffe, als soziale Gemeinschaft versagt, weil es ihr nicht gelungen ist, das fremdartige Wesen in ihrer Mitte zu integrieren. Doch ist ihr das angesichts der so vollkommen unverständlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen des Fremdlings vorzuwerfen?
David Lovatt meint zu erkennen, dass der Zufall Ben in die Familie gebracht hat, ein »Zufalls-Gen« ist seiner Ansicht nach verantwortlich für Bens Existenz. Wie bereits erwähnt, hat Doris Lessing selbst angeführt, dass Ben weder »schlecht« noch »böse« ist, sondern einer vormenschlichen Seinsform entstammt und einfach nur an den falschen Ort geraten ist. Insofern steht die Familie, steht die Gesellschaft durch die Konfrontation mit ihm vor einem unlösbaren menschlichen Dilemma, das die Autorin kurz nach dem Erscheinen des Romans im Interview auf den Punkt bringt: »Was mich interessierte, als ich das Buch schrieb, war, dass ich nicht sehe, wie Harriet sich anders hätte verhalten können, und doch zerstörte sie ihre Familie. Es ist nicht nur Harriets Entscheidung: Wir sind ständig damit konfrontiert. Wenn man ein zivilisiertes Volk ist – lassen Sie uns diesen Ausdruck mit einer gewissen Ironie benutzen –, verpflichtet man sich zu bestimmten Dingen. Doch häufig hat das, wozu man sich verpflichtet hat, unglückselige Auswirkungen, die wir nicht unbedingt vorhersehen.« Geradezu tragisch verläuft also die Konfrontation der Gesellschaft beziehungsweise der Familie mit dem unglücklichen, deplatzierten Ben, und ein Albtraum, eine Horrorgeschichte spielt sich ab. Nicht zuletzt durch diese Zuspitzung kann man in
Das fünfte Kind
viel über die Mechanismen von Familie und Gesellschaft erfahren.
Nach dem großen Erfolg von
Das fünfte Kind
wurde Doris Lessing in den neunziger Jahren von verschiedenen Seiten dazu angeregt, die Geschichte weiterzuspinnen und eine Fortsetzung zu schreiben. Diese Vorstellung beschäftigte und inspirierte sie mehr und mehr, und schließlich erschien 2000 mit dem Roman
Ben in der Welt
ein zweiter Teil.
Zu Beginn dieser Fortsetzung ist der Protagonist achtzehn Jahre alt, wirkt aber wie vierzig und lebt allein und unstet auf den Straßen Londons. Eine Rentnerin nimmt sich seiner an, doch als sie schließlich erkrankt und in eine Klinik eingeliefert wird, ist Ben wieder allein. Er lernt eine Prostituierte kennen, deren Zuhälter den Ahnungslosen als Drogenkurier nach Südfrankreich schickt, wo er abermals allein gelassen wird. Dort wiederum trifft Ben auf einen Filmregisseur, der Pläne schmiedet, in Südamerika einen Film über Neandertaler zu drehen. Er ist begeistert von Ben und fliegt mit ihm nach Brasilien. Als sich dort die Dreharbeiten verzögern, lässt der Filmregisseur Ben bei seiner Freundin Teresa in Rio de Janeiro zurück. Ein Wissenschaftlerteam wird auf Ben aufmerksam und beginnt, Experimente mit ihm anzustellen, und es kommt zu einem folgenschweren Missverständnis: Alfredo, ein Mitarbeiter des Forschungslabors, berichtet Ben, er habe schon »Leute wie ihn« gesehen, womit er allerdings Felsmalereien meint, die er im Hochgebirge entdeckt hat. Ben ist überglücklich und möchte sofort in die Berge aufbrechen – und weigert sich, an weiteren wissenschaftlichen Tests teilzunehmen. Daraufhin wird er von Mitarbeitern des Labors entführt, von Teresa und Alfredo allerdings gerettet. Sie machen sich auf den Weg in die Berge, und niemand bringt es übers Herz, Ben zu sagen, dass »seine Leute« lediglich als
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