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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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unkomplizierter, wenn ich mir in Washington ein Apartment nähme und an den Wochenenden heimkäme - und wir abwarteten, was die nächste Wahl bringen würde.« Eine lange Pause folgte.
    Schließlich sprach sie weiter: »Ich muß gestehen, daß es mir immer schwergefallen ist, Debbie etwas abzuschlagen. Es ist schwierig, vemünftig zu sein, wenn man das Beste für seine Kinder will - vor allem dann, wenn man sich an die Wünsche erinnert, die man in ihrem Alter hatte, an die Unsicherheit, was das Anziehen betraf, und die Komplexe wegen der äußeren Erscheinung und daran, daß die Eltern es sich nicht leisten konnten, einen zum Hautarzt, zum Kieferorthopäden oder zum Schönheitschirurgen zu schicken - aber wir haben uns bemüht, ein vertretbares Maß einzuhalten.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Manchmal war ich allerdings nicht sicher, ob wir die richtige Entscheidung getroffen hatten. Nehmen wir zum Beispiel den Jeep: Ich war dagegen, aber ich hatte nicht die Kraft, mich durchzusetzen. Typisch für sie, daß sie ein praktisches Fahrzeug wollte, mit dem sie bei jedem Wetter und sicher...« Sie brach ab.
    Zögernd fragte ich: »Sie erwähnten vorhin das Thema Schönheitschirurgie - betrifft das Ihre Tochter?«
    »Große Brüste sind unvereinbar mit Leichtathletik, Dr. Scarpetta«, antwortete sie, ohne sich umzudrehen. »Mit sechzehn war Debbie in dieser Hinsicht bereits übermäßig entwickelt. Sie litt aus zweierlei Gründen darunter: Erstens war es ihr peinlich, und zweitens behinderte es sie beim Sport. Das Problem wurde vergangenes Jahr behoben.«
    »Dann ist dieses Foto erst kürzlich entstanden«, schloß ich daraus, denn die Deborah, die ich darauf sah, hatte eine perfekte Figur mit kleinen, festen Brüsten und Hinterbacken.
    »Letzten April.«
    Wenn ein Mensch in Kalifornien vermißt wird und möglicherweise tot ist, interessieren sich Angehörige meines Metiers zwangsläufig für anatomische Besonderheiten - sei es eine Hysterektomie, eine Wurzelbehandlung oder Narben von einem kosmetischen Eingriff -, die bei einer Identifizierung hilfreich sein könnten. Das waren die Punkte, auf die ich bei den Vermißten-Beschreibungen des National Crime Information Center - kurz NCIC - speziell achtete, Hinweise, auf die ich baute, denn Schmuck und anderer persönlicher Besitz lieferte, wie ich im Lauf der Jahre gelernt hatte, nicht unbedingt den gewünschten Aufschluß.
    »Was ich Ihnen gerade erzählt habe, ist streng vertraulich«, erklärte Mrs. Harvey. »Debbie legt großen Wert auf ihre Intimsphäre. Wir legen alle sehr großen Wert auf unsere Intimsphäre.«
    »Ich verstehe.«
    »Das gilt auch für ihre Beziehung zu Fred«, fuhr sie fort. »Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, gibt es hier keine Fotos und auch sonst keine sichtbaren Symbole dafür. Ich bin sicher, die beiden haben Bilder, Geschenke und Erinnerungsstücke ausgetauscht, doch sie hat das stets geheimgehalten. Beispielsweise bemerkte ich kurz nach ihrem Geburtstag im letzten Februar an ihrem rechten kleinen Finger einen schmalen Goldreif mit Blumenmuster. Sie äußerte sich nicht dazu, und ich fragte sie nicht danach - aber ich bin überzeugt, sie hatte ihn von ihm bekommen.«
    »Halten Sie ihn für einen in sich gefestigten jungen Mann?« Jetzt drehte sie sich zu mir um.
    »Fred ist sehr gefühlsbetont, aber ich kann nicht sagen, er sei labil. Ich habe wirklich keinen Grund zur Klage. Allerdings fürchte ich manchmal, daß die Bindung zwischen den beiden zu eng sein könnte. Sie sind wie...«, sie suchte nach dem richtigen Wort,«... süchtig. Ja - das trifft es: Es kommt mir vor, als seien sie eine Droge füreinander.« Sie wandte sich erneut ab und lehnte ihre Stirn an die Fensterscheibe. »O Gott - ich wünschte, wir hätten ihr den verdammten Jeep nie gekauft.«
    Ich schwieg.
    »Fred hat keinen Wagen. Sie hätte mit uns...«
    »Sie hätte mit Ihnen ans Meer fahren müssen«, beendete ich den Satz für sie.
    »Dann wäre sie jetzt nicht verschwunden!« Unvermittelt durchquerte sie den Raum und trat auf den Flur hinaus - als körne sie es keine Sekunde länger im Zimmer ihrer Tochter aushalten. Ich folgte ihr die Treppe hinunter und durch die Halle. Als ich ihr die Hand hinstreckte, drehte sie ihr Gesicht zur Seite, damit ich ihre Tränen nicht sähe.
    »Es tut mir leid.« Wie oft würde ich diesen Satz in meinem Leben wohl noch sagen?
    Als ich die Stufen hinunterging, schloß sich die Haustür leise hinter mir. Ich hoffte, daß,

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