Das fünfte Paar
Leichen - und in einem Schraubglas mit Formalin schwamm eine ausgeschnittene Stichwunde. An der Rückseite der Tür hingen blutbefleckte Kleider - Beweismaterial in einem Mordfall. Die Gesichtsrekonstruktionen von zwei nicht identifizierten weiblichen Leichen standen auf einem Aktenschrank wie abgeschlagene Köpfe.
Pat Harvey hatte mehr bekommen, als sie verlangte: Sie war kopfüber in die brutale Realität gestürzt, mit der ich tagtäglich konfrontiert wurde.
»Jred Cheneys zahnärztliche Befunde habe ich auch schon - Morrell brachte sie«, fuhr ich fort.
»Und - stimmen sie überein?«
»Ja.« Ich lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Röntgenaufnahmen, die vor einem Lichtkasten an der Wand hingen. Verblüffung malte sich auf seinem Gesicht. »Ist das tatsächlich das, wofür ich es halte?« Er deutete auf einen dunklen Punkt in dem schattenhaften Umriß der Lendenwirbelsäule.
Ich nickte. »Auf Deborah Harvey wurde geschossen. Die Kugel durchschlug den Domfortsatz und die Stiele und blieb im vertebralen Stamm stecken. Hier.« Ich zeigte auf die Stelle.
Er trat näher heran. »Ich sehe sie nicht.«
»Das können Sie auch nicht. Aber sehen Sie das Loch?«
»Ich weiß nicht - da sind viele Löcher...«
»Ich meine das da. Die anderen sind Öffnungen, durch die Knochen und Mark mit Blut versorgt werden.«
»Und wo sind die Stiele, von denen Sie sprachen?«
»Ich habe sie nicht entdecken können. Sie müssen zersplittert sein und liegen wahrscheinlich noch auf der Waldlichtung. Es gibt einen Einschuß, aber keinen Austritt. Die Kugel drang in Höhe des Unterbauches in den Rücken ein.«
»Hat ihre Kleidung an der entsprechenden Stelle ein Loch?«
»Nein.«
Auf einem Tisch stand ein weißes Plastiktablett mit Deborahs Eigentum: Bekleidung, Schmuck - und die rote Nylontasche. Vorsichtig hob ich das fleckige, verfärbte und stark angegriffene Sweatshirt hoch.
»Wie Sie sehen, ist das Rückenteil in einem katastrophalen Zustand. Der größte Teil ist weggefault oder von Kleintieren zerfetzt worden. Dasselbe gilt für die Jeans - und das leuchtet ein, denn dieses Gewebe muß blutig gewesen sein. Mit anderen Worten: Die Stoffstücke, in denen ich ein Einschußloch hätte finden können, sind nicht mehr da.«
»Wie steht's mit der Entfernung, aus der sie getroffen wurde? Haben Sie irgendeine Vermutung?«
»Wie ich schon sagte, ist die Kugel nicht ausgetreten. Das legt die Vermutung nahe, daß wir es nicht mit einem Schuß aus nächster Nähe zu tun haben - aber es ist schwer zu sagen. Was das Kaliber betrifft, so tippe ich auf eine Achtunddreißiger - oder größer. Sicher wissen wir es aber erst, wenn ich das Geschoß rausgeholt und von der ballistischen Abteilung habe untersuchen lassen..
»Sehr merkwürdig«, sagte Marino. »Cheney haben Sie sich noch nicht angesehen?.
»Er ist durchleuchtet worden: Keine Schußverletzungen. Untersucht habe ich ihn bisher noch nicht.«
»Sehr merkwürdig., wiederholte er. »Es paßt nicht: Der Schuß in den Rücken paßt nicht zu den anderen Fällen.«
»Da haben Sie recht.«
»Und daran ist sie gestorben?.
»Ich weiß es nicht.«
Er sah mich an. »Was soll das heißen?«
»Eine solche Verletzung führt nicht augenblicklich zum Tod, Marino. Da die Kugel steckengeblieben ist, hat sie nicht die Aorta durchschlagen. Wäre das auf dieser Höhe passiert, wäre Deborah innerhalb von Minuten verblutet. Der Schuß hat zu einer sofortigen Querschnittslähmung geführt - und natürlich wurden Blutgefäße verletzt.«
»Wie lange kann sie damit noch gelebt haben?«
»Stunden.«
»Und wie sieht's mit Vergewaltigung aus?.
»Slip und Büstenhalter waren an Ort und Stelle«, antwortete ich. »Aber das schließt eine Vergewaltigung nicht aus: Möglicherweise erlaubte ihr der Täter, sich anschließend wieder anzuziehen - vorausgesetzt, sie wurde vor dem Schuß vergewaltigt.«
»Und warum hätte er das tun sollen?«
»Wenn eine Frau vergewaltigt wird«, erklärte ich, »und ihr Angreifer sagt ihr, sie dürfe sich danach wieder anziehen, nimmt sie an, daß er sie am Leben lassen wird, und wehrt sich nicht, weil sie fürchtet, daß er sonst seine Meinung ändert.
Er runzelte die Stirn. »Klingt mir ein bißchen zu weit hergeholt, Doc. Ich glaube nicht, daß es so gelaufen ist.«
»Ich habe ja nur ein Szenario entwickelt. Ich weiß nicht, was sich abgespielt hat. Fest steht lediglich, daß die Unterwäsche nicht zerrissen, zerschnitten oder verkehrt herum war. Was Spermaspuren
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